Die schönste Zeit des Lebens
eine Weile. Danke, sagt er dann, obwohl ihr dafür eigentlich kein Dank gebührt. Danke. Und nach einer Pause fügt er hinzu: Und Frau Abel?
Bei der ist es noch nicht so weit, sagt Fari.
Während sie weiterreden, hat Robert ganz deutlich das Gefühl von verrinnender Zeit. Er, der noch kaum zu leben begonnen hat, spürt auf einmal, dass es Fristen gibt, Fristen, in denen Entscheidungen fallen, die alles Spätere bestimmen. Fristen mit festen Begrenzungen, nicht verlängerbar. Und unwiderrufliche Entscheidungen.
Wir haben Glück gehabt, sagt er.
Ja, sagt sie. Und dann ohne Übergang: Wie wäre es, wenn du heute Abend zu uns zum Essen kämst?
Zum Essen? Klar. Wann soll ich kommen?
Halb acht.
Erst als sie aufgelegt hat, fällt ihm ein, dass er noch nie in seinem Leben bei fremden Leuten zum Essen eingeladen war. Jedenfalls nicht allein, ohne seine Eltern. Für einen Augenblick gerät er fast in Panik. Mit dieser Möglichkeit hat er einfach nicht gerechnet. Was heißt das: Sie laden ihn zum Abendessen ein? Muss er Faris Mutter einen Blumenstrauß mitbringen? Wenn seine Mutter jetzt da wäre, könnte er sie fragen. Aber wahrscheinlich würde er es nicht tun.
Halb sechs. Noch fast zwei Stunden Zeit. Wenn er Blumen kaufen will, muss er sich beeilen, denn das Blumengeschäft am anderen Ende der Bredowstraße macht um sechs zu. Oder ist es albern, bei einer solchen Gelegenheit mit einem Strauß Blumen anzukommen? Marita! Sie kann er fragen, sie weiß, was man in solchen Situationen macht. Marita wohnt nicht weit entfernt. Fünf Minuten mit dem Fahrrad. Und vielleicht ergibt sich auch eine Gelegenheit herauszubekommen, ob das mit dem Urlaub in Dalmatien eine gute Idee ist oder nicht.
Robert holt sein Fahrrad aus dem Schuppen und radelt durch die warme Abendluft in die Virchowstraße. Als er klingelt, ist Marita gleich an der Tür, strahlt übers ganze Gesicht.
Willst du mir gratulieren?
Gratulieren? Wozu?
Ich hab die theoretische Fahrprüfung bestanden, sagt sie.
Herzlichen Glückwunsch, sagt Robert.
Es dauert eine ganze Weile, bis er mit seinem Anliegen herausrückt.
Fari, sagt Marita. Andy hat mir schon von ihr erzählt. Eine persische Schönheit. Bist du verliebt?
Marita darf ihn so etwas fragen. Nur Marita. Gleich beim ersten Mal, als Andy sie mit ins Schock brachte, war da diese merkwürdige Vertrautheit zwischen Robert und ihr.
Ich glaube ja, sagt er.
Also … Marita ist auf einmal ganz geschäftsmäßig. Wenn das so ist, bringst du ihrer Mutter natürlich Blumen mit. Wie ist sie?
Wer?
Faris Mutter. Ist sie eine einfache Frau oder eher gebildet, elegant?
Elegant, glaube ich, sagt Robert.
Marita verschwindet in der Küche, kommt gleich darauf mit einer Blumenschere in der Hand zurück. Sie geht an ihm vorbei in den Garten, taucht einige Minuten später mit einem Strauß blassblauer Blumen wieder auf.
Schwertlilien, sagt sie. Genau das Richtige für den Anlass.
Sie wickelt die Blumen vorsichtig in Zeitungspapier und reicht sie Robert.
Das Papier nimmst du ab, wenn du klingelst. Dann wartest du, wer dir öffnet. Ist es Fari, behältst du die Blumen in der Hand, bis ihre Mutter dich begrüßt. Ist es die Mutter, kannst du die Blumen gleich an der Tür überreichen.
Es kommt darauf an, es richtig zu machen. Oder man rebelliert, macht einfach, was man will, oder das Gegenteil dessen, was von einem erwartet wird. In diesem Fall ist Robert daran gelegen, es richtig zu machen, und Marita weiß, was in diesem Fall das Richtige ist.
Und Andy und du?, fragt Robert, als er schon wieder auf dem Fahrrad sitzt. Alles wieder okay?
Andy ist ein Kindskopf, sagt Marita. Jetzt will er seine Ausbildung schmeißen und nach Australien gehen.
Wieso das denn?
Weil ihm der Chef ein paar Mal blöd gekommen ist.
Dann wird das wohl nichts mit dem Urlaub in Dalmatien, fragt Robert.
Wenn es nach mir geht, schon, sagt sie. Und wenn der Andy weiter so spinnt, dann fahren eben wir drei: du, deine Freundin und ich. Bis dahin hab ich selbst meinen Führerschein.
Zu Haus duscht Robert sich, zieht ein frisches Hemd an, Jeans und Turnschuhe. Einen Augenblick überlegt er, ob er die Schnürsenkel zubinden soll, lässt es dann aber. Zu viel Aufwand wäre peinlich. Es soll nicht so aussehen, als wolle er sich besonders herausstreichen. Deine Freundin, hat Marita gesagt, als wäre die Sache zwischen ihm und Fari bereits besiegelt. Dabei kennen sie sich doch kaum. Oder sollte das das Siegel sein, diese erste Umarmung, dieser erste
Weitere Kostenlose Bücher