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Die schönste Zeit des Lebens

Die schönste Zeit des Lebens

Titel: Die schönste Zeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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um die anderen, die leichten Hauptes und leichter Hände sich im Licht bewegen. Dann einige Zeilen, die das soeben gegeneinander Gesetzte wieder miteinander in Verbindung bringen:
    Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
    In die anderen Leben hinüber,
    Und die leichten sind an die schweren
    Wie an Luft und Erde gebunden …
    Und schließlich eine Strophe, die ihm fast die Kehle zuschnürt, so schön ist sie:
    Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
    Kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
    Noch weghalten von der erschrockenen Seele
    Stummes Niederfallen ferner Sterne.
    Später auf dem Heimweg scheint alles um ihn herum verwandelt zu sein. Die Autos, zu beiden Seiten unter den Kastanien geparkt und blitzend in der tief stehenden Sonne, wie Geschmeide legen sie sich um das graue Band der Straße. Eine junge Frau mit einem Kinderwagen, die einen Moment lang auf dem Bürgersteig stehen bleibt und – ein Zeichen, eine Metapher? – mit den Fingerspitzen ihre Stirn berührt. Ein offenes Fenster im ersten Stock über der Drogerie und dahinter schemenhaft eine dunkle Gestalt. Es sind die Wörter, die den Dingen einen anderen Sinn, ein anderes, geheimes Leben geben, die Wörter aus den Gedichten, die wie selbstständige Wesen durch seinen Kopf spazieren.
    Warum ist das so: Glück und Trauer, Lust und Schmerz, Liebe und Hass, Schönheit und Schrecken? Das Bild seines Vaters steht ihm vor Augen, wie er, an einen Baum gelehnt, Muster in die Rinde eines Haselnussstocks schneidet, dann ein anderes, wie er sich aufrichtet, sich den Rücken hält mit verzerrtem Gesicht. Dann das der Mutter, auf dem Küchenstuhl sitzt sie, im wattierten Morgenmantel, die Zigarette in ihrem Mund glüht auf, verglimmt. Worauf wartet sie? Auf welches geheime Zeichen? Und er selbst, Robert, ortlos, schwebend im weichen Licht des Sommerabends, wohin treibt es ihn? Wohin treibt es ihn?
    Den Band mit den Gedichten von Hofmannsthal hat ihm Frau Sternheim mitgegeben. Dazu noch einen dicken Band mit Gedichten von Rilke. Als Wegzehrung, hat sie gesagt. Wenn Sie weggehen von hier, um zu studieren. Dann brauchen Sie etwas, auf das Sie zurückgreifen können, wenn Sie traurig sind – oder überglücklich.
    Als sie aufgestanden war, um sich von ihm zu verabschieden, hatte sie mit der Hand aus Versehen ihre Brille von der Armlehne gestreift, sodass sie zu Boden gefallen war. Robert bückte sich, hob sie auf. Sie war nicht zerbrochen.
    Ich werde alt, sagte sie, als sie die Brille entgegennahm. Ich lasse alles fallen. Bald gibt es keine einzige heile Tasse mehr, aus der wir unseren Tee trinken können.
    Sie stand vor ihm, sah ihn von unten herauf mit ihren übergroßen Augen an, und wieder hatte Robert den Eindruck, als versuche sie sich seine Züge genau einzuprägen.
    Leben Sie wohl, sagte sie schließlich. Leben Sie wohl!

38
    FARI, ROBERT, MARITA und Andy.
    Nur wir vier, sagt Marita. Sonst wird es im Auto zu eng.
    Sie sitzen im Café Sandmann, um den Urlaub in Kroatien zu planen, obwohl es da nicht viel zu planen gibt.
    An der dalmatinischen Küste, hat der Mann im Reisebüro zu Marita gesagt, haben Sie zurzeit die große Auswahl: von der Luxussuite bis zum einfachen Zimmer im Zweisternehotel. Und alles halb so teuer wie in Italien.
    Andy ist noch nicht da, wollte eigentlich längst da sein. Marita versucht zweimal, ihn auf dem Handy zu erreichen, aber sein Handy ist abgeschaltet.
    Kommt sicher gleich, sagt sie. Sitzt bestimmt schon im Auto.
    Das Einzige, was jetzt noch dazwischenkommen kann, sagt Fari, ist, dass hier am Ort eine Epidemie ausbricht und für das Krankenhauspersonal eine Urlaubssperre erlassen wird.
    Als Andy schließlich kommt, ist er nicht allein. Marita sieht ihn auf dem Bürgersteig herankommen.
    Oje, sagt sie. Er hat seinen Bruder dabei.
    Robert wusste bisher gar nicht, dass Andy einen Bruder hat, und nun kommt Andy zur Tür herein und zieht an der Hand ein tapsiges, geiferndes, ungeschlachtes Wesen hinter sich her.
    Hallo, sagt Andy. Das ist Gregor. Meine Mutter ist irgendwo bei Köln mit dem Auto liegen geblieben, und ich konnte ihn nicht allein zu Haus lassen.
    Er bugsiert Gregor auf einen Stuhl, zieht ihm die wattierte Jacke aus.
    Cola, sagt Gregor.
    Ja, sagt Andy, du kriegst deine Cola.
    Gregor sitzt da, das Kinn auf der Brust, die Augen niedergeschlagen. Plötzlich hebt er den Kopf, schaut von einem zum anderen mit großen verwunderten, ein wenig ängstlichen Augen. Sein Blick bleibt an Marita hängen. Ein nachdenklicher Zug erscheint

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