Die schönste Zeit des Lebens
geht jetzt nicht, flüstert sie. Er ist da.
Als sie auflegt, steht Egon hinter ihr: Wer war das?
Edith wird kreideweiß, dann rot, stammelt: Eine Freundin …
Wer war das?
Egon packt sie an den Oberarmen, schüttelt sie, brüllt: Was wird hier gespielt? Was treibst du hinter meinem Rücken?
Nichts, sagt sie. Nichts. Es war eine Frau, die ich neulich kennengelernt habe. Wir reden manchmal miteinander. Das ist alles.
Du lügst doch!
Egon holt aus, hält mit der Linken ihren Oberarm und schlägt ihr mit dem Handrücken der Rechten mitten ins Gesicht.
Dann, als erschrecke er über sich selbst, lässt er sie los, steht einen Augenblick da, den Blick nach unten gekehrt, hilflos in seiner Wut und seiner Scham. Sie nutzt die Chance, zu entkommen, stürzt ins Badezimmer, sperrt hinter sich ab.
Edith, mach auf! Es tut mir leid, Edith. Sag doch endlich was! Warum sprichst du nicht mit mir? Pause. Dann in plötzlich aufwallender Wut: Mach auf, du Hure, oder ich schlag die Tür ein!
Egon steht vor der Badezimmertür und schwankt zwischen Wut und Reue und Selbstmitleid. Edith auf der anderen Seite der Tür sagt gar nichts, schluchzt. Nach einer Weile schaut sie in den Spiegel, sieht das Blut an ihrer Nase, wäscht sich das Gesicht unter dem Wasserhahn. Als er an der Klinke rüttelt, stellt sie von innen einen Stuhl mit der Lehne darunter, sodass sich die Klinke nicht mehr bewegen lässt. Das macht ihn erst recht rasend. Er schlägt mit den Fäusten gegen die Tür.
Mach auf oder ich schlag die Tür ein!
Aber sie macht nicht auf. Er bittet und bettelt, schlägt mit den Fäusten gegen die Tür, tritt mit dem Fuß dagegen.
Als das alles nichts hilft, läuft er zum Schuppen, holt die Axt. Mach auf oder ich schlag die Tür ein! Zum letzten Mal: Mach auf oder ich schlag die Tür ein!
Ein Augenblick Stille, er horcht. Drinnen rührt sich nichts. Und dann mit einem Schrei erhebt er die Axt und schlägt wie besessen auf die Tür ein.
Das ist der Moment, da Robert nach Haus kommt. Schon als er vor dem Gartentor vom Fahrrad steigt, hört er das Geschrei, die dröhnenden Schläge, das Splittern von Holz. Er lässt das Fahrrad fallen, rennt ins Haus.
Papa!
Er stürzt hinzu, will dem Vater die Axt entreißen. Der, blind und taub vor Wut, holt aus, Robert spürt einen dumpfen Schlag. Dann ist es dunkel um ihn.
Auf einmal Stille, vollkommene Stille. Edith im Badezimmer wagt es immer noch nicht, sich zu rühren. Nach einer Weile tritt sie vorsichtig an die Tür, wirft einen Blick durch das Loch in der Füllung. Robert auf dem Boden ausgestreckt, der blutüberströmte Kopf im Schoß des Vaters. Sie schließt die Tür auf, steht im Flur.
Mein Junge! Mein Junge!
Der Vater wie versteinert, sitzt auf dem Boden, hält den blutigen Kopf mit beiden Händen.
Was hast du gemacht? Was hast du mit meinem Jungen gemacht?
Edith schreit, wimmert. Dann reißt sie sich zusammen, greift zum Telefon. Die Notrufnummer.
Ein Unfall. Schnell. Bredowstraße 64 bei Markmann. Ja, Lebensgefahr.
Als der Krankenwagen kommt, fährt sie mit in die Klinik. Du bleibst hier, sagt sie, als Egon zusteigen will. Sie sagt es in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet, und Egon zieht den Kopf ein und fügt sich. Lange steht er da und blickt in die Richtung, in die der Krankenwagen verschwunden ist. Dann setzt er sich im Wohnzimmer in einen Sessel und starrt vor sich hin. Zweimal ruft Egon in der Klinik an, aber dort kann man ihm keine Auskunft geben. Außer, dass Robert sich im OP befinde. Er solle später wieder anrufen. Das Blut pocht ihm in den Schläfen, er krallt die Hände in die Armlehnen des Sessels. Jetzt ist es passiert, denkt er immer wieder. Jetzt ist es passiert. Ich habe es kommen sehen, und jetzt ist es passiert. Durch mich ist es passiert. Aber er spürt keine Erleichterung wie in seinem Traum, er fühlt nur, wie er sinkt, unaufhaltsam immer tiefer sinkt in einem dunklen Schacht, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Plötzlich steht Fred in der Wohnzimmertür. Die Haustür stand offen, er hat gerufen: Hallo! Egon? Edith? Als er keine Antwort erhielt, ist er ins Haus gegangen. Nun steht er in der Wohnzimmertür, hält die Konzertkarten in der Hand, na, was ist, will er fragen. Seid ihr fertig? Kann es losgehen? Erst jetzt nimmt er den Mann im Sessel genauer wahr, sieht sein Gesicht, sieht die Blutflecken an seinen Händen.
Was ist los? Egon, Mensch! Was ist los? Was ist passiert? Egon!!
Später sitzen Fred und Egon in der Küche am Tisch, vor ihnen
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