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Die schönste Zeit des Lebens

Die schönste Zeit des Lebens

Titel: Die schönste Zeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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Lauter Pornos. Von der schlimmsten Sorte!
    Robert atmet auf, als er schließlich die Tür hinter sich ins Schloss fallen hört. Auf dem Treppenabsatz wartet er einen Augenblick, bevor er in den zweiten Stock hinuntersteigt. Er muss sich sammeln, durchatmen, er ist wie betäubt von den Hasstiraden. Nach einer Weile geht er möglichst leise die letzten Stufen bis zum zweiten Stock hinunter. Herr Rommerskirchen soll glauben, er sei von unten gekommen. Aber als er gerade klingeln will, wird die Tür mit einem Ruck aufgerissen.
    Na, hat die alte Vettel sich wieder das Maul zerrissen über mich?
    Herr Rommerskirchen steht in der Tür, hat offenbar beobachtet, wie Robert von oben herunterkam.
    Guten Tag, sagt Robert mit versagender Stimme. Ich vertrete heute Herrn Wesendonk.
    Was ist denn mit dem Herrn Wesendonk, ist er krank?
    Er ist auf einer Fortbildung.
    Sieh mal an, sagt Herr Rommerskirchen. Da könnt ihr jungen Leute euch eine Scheibe abschneiden. Lebenslanges Lernen. Ich bilde mich auch immer noch weiter, jeden Tag, und ich bin vierundsiebzig! In der Volkshochschule habe ich jetzt einen Russischkurs belegt. Kyrillische Buchstaben. Wissen Sie, was das heißt?
    Er nimmt einen Zettel, schreibt ein Wort in kyrillischen Buchstaben darauf.
    Na? Lesen Sie mal!
    Ich hatte in der Schule nur Englisch und Französisch, sagt Robert.
    Rossija, sagt Herr Rommerskirchen. Das heißt Russland.
    Er schnaubt verächtlich.
    Englisch und Französisch! Und wie ist es mit Latein? Und Griechisch? Fehlanzeige, wie? Ich will Ihnen mal was sagen, junger Mann: Ich spreche fünf Sprachen, fließend, dazu solide Kenntnisse in Latein und Altgriechisch. Und jetzt lerne ich noch Russisch. In meinem Alter.
    Das ist ja wunderbar, sagt Robert.
    Das Lob hat Herrn Rommerskirchen offenbar aus dem Konzept gebracht. Eine Weile sagt er nichts, sein Oberkörper ruckt vor und zurück, als wolle er sich bewegen, sei aber mit den Füßen am Boden festgewachsen. In seinem Gesicht zuckt es nervös. Dann auf einmal macht er eine verschwörerische Miene und winkt Robert näher zu sich heran.
    Haben Sie es bemerkt? Sein knochiger Zeigefinger zeigt zur Zimmerdecke hinauf. Meine Schwester ist plemplem. Komplett verrückt. Die gehört in eine geschlossene Anstalt. Das merkt doch jeder, der mit ihr zwei Sätze wechselt. Aber dem Staat ist das zu teuer. Darum lassen sie sie weiter da oben. Ich bin schon zigmal bei den Behörden vorstellig geworden, ich habe Briefe geschrieben, Beweise beigebracht. Die unternehmen aber nichts. Vielleicht, wenn Sie von der Altenhilfe mal Druck machten …
    Es ist schon nach zwei, als Robert schließlich erschöpft und erleichtert auf sein Fahrrad steigt. Er hat in Herrn Rommerskirchens Küche, so gut es ging, Ordnung gemacht, hat das Geschirr abgewaschen, während Herr Rommerskirchen, hinter ihm stehend, die Untätigkeit der Behörden beklagte, die eine gefährliche Irre frei herumlaufen ließen, statt sie wegzusperren, wie es notwendig wäre. Dann hat Robert im nahen Supermarkt Brot, Milch und Käse und eine Packung Wattestäbchen zur Entfernung von Ohrenschmalz für Herrn Rommerskirchen eingekauft und ist, als Herr Rommerskirchen gerade ansetzte, den zahlreichen Belegen für die Gemeingefährlichkeit seiner Schwester einen weiteren hinzuzufügen, einfach gegangen.
    Jetzt fährt er auf dem Fahrrad die Hans-Sachs-Allee entlang, aber nicht, wie man erwarten sollte, Richtung Bunsenpark und von da nach Haus, sondern in die andere Richtung, biegt rechts ab in die Wesselinger Straße und hält kurz danach vor dem Gründerzeithaus, in dem bis vor Kurzem Frau Sternheim gewohnt hat. Als er die Treppe hinauf in den ersten Stock geht, denkt er für einen flüchtigen Augenblick, dass alles vielleicht nur ein böser Traum war, dass er nur zu klingeln braucht und sie öffnet ihm, und der Tee ist schon bereitet, und alles ist, wie es vorher war.
    In der Wohnung ist es dämmrig, die Luft riecht muffig. Robert zieht die Gardinen auf, öffnet ein Fenster. Dann steht er lange vor dem Kamin und betrachtet die Fotos, die darüber an der Wand hängen. Wie alt mag sie gewesen sein, als das Foto gemacht wurde? Zwölf, dreizehn vielleicht. Ich war das schwarze Schaf in der Familie … Aber sie hat überlebt, als Einzige. Und wie alt war sie, als sie starb? Über achtzig bestimmt. In der Todesanzeige, die die Kollegen der Stadtbibliothek aufgegeben hatten, stand, es sei ein erfülltes Leben gewesen. Die ganze Trauer und das ganze Glück …
    Plötzlich klingelt es

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