Die schönste Zeit des Lebens
erbberechtigten, sagt der Beamte.
Eine kurze schriftliche Erklärung, dass er das Erbe annehme, das sei alles, was von ihm verlangt werde. Falls er das Erbe antreten wolle.
Erst als Robert schon wieder draußen ist, wird ihm allmählich klar, was da soeben mit ihm passiert ist. Er hat ab heute eine eigene Wohnung. Nein, das ist nicht ganz richtig; es ist ihre Wohnung, die jetzt ihm gehört. Es sind ihre Möbel, ihre Bilder, ihre Bücher, die sich darin befinden. Ist es überhaupt richtig, wenn er das alles einfach in Besitz nimmt? Vielleicht hätte er das Erbe ausschlagen sollen. Und dann? Was würde dann passieren? Wahrscheinlich würden sie dann alles versteigern, die Wohnung, die Bilder, die Bücher, und der Erlös ginge an die Stadt oder an eine gemeinnützige Einrichtung. Womöglich an die Altenhilfe. Sie hat es anders gewollt. Sie hat die Wohnung mit allem darin ihm vererbt. Warum?
Er sitzt auf den Steinstufen vor dem Gebäude des Amtsgerichts, Ellenbogen auf den Knien, den Kopf in die Hände gestützt. Vor ihm auf dem Trottoir gehen die Menschen vorüber, ein Taxifahrer schimpft, weil ein Kleinlaster seinen Halteplatz blockiert, der Gemüsehändler auf der anderen Seite der Straße tritt aus seinem Laden, wischt sich die Hände an der Schürze ab und schaut herüber. Es ist noch zu früh, um Fari anzurufen. Sie schläft sicher noch, weil sie diese Woche Nachtdienst hat. Soll er Marita anrufen? Tom? Andy? Um was zu sagen? Ich habe eine Wohnung geerbt mit allem, was darin ist, was soll ich jetzt machen?
Die Einzige, die ihm in dieser Lage helfen könnte, ist tot. Plötzlich ist da wieder die schwarze Klappe, er sieht den Sarg mit dem Blumenstrauß und dem Manuskript darauf, sieht ihn auf den Schienen in die dunkle Kammer rollen, die Klappe schließt sich, langsam, lautlos, eine perfekte Mechanik. Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang – wie soll man das ertragen, wenn man jung und unerfahren ist? Und dennoch sagt der viel, der Abend sagt – in dieser einen Zeile, hat Frau Sternheim gesagt, liege das ganze Glück des Menschenlebens, die ganze Trauer und das ganze Glück.
Der Traum von der Leichtigkeit, ist er schon ausgeträumt? Jetzt, da er eine Wohnung hat und Geld, kann er weggehen, kann sein eigenes Leben leben. Aber er spürt, dass es kein leichter Abschied wird. Die Mutter, der Vater, gefangen sind sie, gefangen in benachbarten Zellen, Tag für Tag tauschen sie unverständliche Klopfzeichen aus, warten, das Ohr an der Wand, vergebens auf Antwort. Wie merkwürdig das ist, diese Unbelehrbarkeit, diese Hartnäckigkeit. Oder gelten die Zeichen am Ende ihm, Robert? Ist er gemeint? Erwarten sie Antwort von ihm? Manche freilich … Robert spürt die Lähmung, die von ihm Besitz ergreifen will. Die ganze Trauer und das ganze Glück. Wo ist das Glück im Leben der Mutter, des Vaters? Erwarten sie es etwa von ihm?
Jetzt, da der Vater die Platzwartstelle beim TSV hat, wird vielleicht alles besser. Er wird dem Vater ein paar Tausend Euro auf sein Konto überweisen und der Mutter etwas von dem geerbten Geld geben für ihre Urlaubskasse, damit sie nach Italien fahren können, Vater und Mutter, wie früher, als Robert noch ein Kind war. Aber mitfahren wird er, werden sie nicht, Fari und er, auch wenn es nun wohl nichts wird mit dem Urlaub zu viert in Kroatien.
Wenn er es sich recht überlegt, will Robert überhaupt nicht in Urlaub fahren. Er braucht Zeit, Zeit für sich allein, er muss nachdenken, sich Klarheit verschaffen, über sich selbst und über sein Leben.
47
DU BIST SO SELTSAM in letzter Zeit, sagt Fari, als sie am Freitagabend anruft.
Seltsam? Ich?
Ja, du. Du bist so verschlossen, ich weiß gar nicht, woran ich mit dir bin.
Ich weiß selbst nicht, woran ich mit mir bin.
Das ist das Pingpong-Spiel, das er mit seinem Vater und seiner Mutter spielt. Robert weiß es, will etwas anderes sagen, will die Automatik des Hin und Her aufhalten, aber da ist es schon zu spät.
Du hörst gar nicht zu, wenn ich etwas sage, sagt Fari. Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders. Du interessierst dich gar nicht wirklich für mich. Was willst du eigentlich von mir?
Der erste Streit. Robert erschrickt, erschrickt so sehr, dass er unwillkürlich den Kopf einzieht und nach einer Fluchtmöglichkeit sucht.
Ich brauche Zeit, sagt er. Ich muss nachdenken. Mir wird das alles zu viel, die Situation bei mir zu Haus, die Arbeit in der Altenhilfe, die Sache mit Andy, alles.
Er hat Fari nicht erzählt, dass er
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