Die schönsten Dinge
sage nichts. Ich lasse ihm Raum zum Reden.
Sein Gesicht wirkt plötzlich hager, die Augen tief eingesunken. »Ich bin in der Stadt mit dem Bus gefahren. Es war ein ganz normaler Tag. Da springt plötzlich ein Typ in den Bus, der sich später als Bombenentschärfer entpuppt. Eines führt zum anderen, der Busfahrer wird erschossen, und ich übernehme das Steuer. Dann stellt sich raus, dass eine Bombe im Bus versteckt ist und wir nicht unter fünfzig Meilen pro Stunde kommen dürfen, weil die Bombe sonst explodiert und uns alle umbringt. Ich musste immer weiterfahren. Irgendwann haben wir den Flughafen erreicht, da konnten wir immer im Kreis fahren, und wenn die Bombe hochgegangen wäre, hätte es nur uns erwischt. Es war schrecklich.«
»Das kommt mir irgendwie bekannt vor«, sage ich.
»Als wir die Leute endlich aus dem Bus geschafft haben, wurden der Bombentyp und ich entführt und in einen verlassenen Eisenbahnwaggon gesperrt, der dann explodiert ist. Da habe ich zum ersten Mal einen anderen Mann geküsst.«
»Das war sicher sehr traumatisch für Sie.«
»Allerdings. Deshalb nehme ich immer das Auto. Ãffentliche Verkehrsmittel sind nichts für mich.« Er schaudert. »Ich ertrage es immer noch nicht, mit dem Bus oder dem Zug zu fahren.«
»Nur gut, dass Sie einen schicken neuen BMW haben.«
»Wirklich ein Glück.« Er schnieft und wischt sich mit dem Ãrmel über die Augen. »Aber es dauert lange, bis seelische Narben heilen. Wenn ich Sandra Bullock auf dem Cover von der Who Weekly sehe, kommen mir immer noch die Tränen.«
»Und wann genau haben Sie sich die Narbe geholt?«
»Ach, die? Als ich zu Hause war. An einem kaputten Weinglas in der Spüle.«
Ich lege mich auf den Rücken, falte die Hände hinter dem Kopf und sehe hinauf zu den Sternen. »Und sind Sie immer so flapsig? Oder nur bei mir?«
»Und sind Sie immer so ernst? Oder nur bei mir?«
»Ich bin ernst, weil das Leben ernst ist. Ich habe Verpflichtungen.«
Er nimmt auch die Hände hinter den Kopf. Er ahmt mich nach.
»Im Moment nicht«, sagt er. »Im Moment gibt es nur das Meer und die Sterne.«
»Ich rede von meiner Arbeit. Meine Arbeit ist ernst.«
»Es ist nur ein Job, Ella. Er macht Sie nicht aus.«
Ich habe keine Ahnung, was ich auf eine so absurde Behauptung antworten soll. Was macht uns denn aus, wenn nicht unsere Arbeit? Es brennt mir auf der Zunge, ihm zu sagen, dass er noch nie wirklich arbeiten musste. Er kann Scherze machen, so viel er will: Er musste sich nie Sorgen um Geld machen oder darüber, ob alle Schlösser an der Haustür ordentlich geschlossen sind oder ob er einen groÃen Coup landen kann, um sich ein bisschen Stolz zu kaufen. Er kann sein Geld lassen, wo er will, und es geben, wem er will. Ich schlucke es herunter, weil mir das nicht helfen würde, ihn zu umgarnen und herauszufinden, was er verbirgt, und auch, weil mir im letzten Moment einfällt, dass sein Vater und seine Mutter tot sind. Dann würde ich ihm gerne sagen, dass er es leicht hat mit seinem toten Vater, dass auf seinen Schultern nicht die Bürde der Geschichte und Erwartungen und Tradition lasten und er nicht jeden Donnerstag bei einer Sitzung Bericht erstatten muss, sondern tun kann, was er will, weil ihn niemand beobachtet, aber auch das sage ich nicht. Auf jemanden, der seine Eltern verloren hat, könnte das ein wenig unsensibel wirken.
»Erzählen Sie mir doch mal was Ernstes«, sage ich. Ich setze mich in den Schneidersitz, rutsche hin und her und beuge mich vor. Auf dem Boden zu sitzen ist unbequem. Das habe ich bei meinen Recherchen über Camping nirgendwo gelesen. »Erzählen Sie mir etwas Ernstes, das Sie noch nie jemandem erzählt haben, und ich erzähle etwas Flapsiges.«
»Eine Herausforderung«, sagt er. »Na gut. Etwas Ernstes also.« Nach einem Moment fährt er fort: »Wie wäre es damit? Mit elf war ich schrecklich verliebt. Andrea Garida. Eine ältere Frau. Sie war dreizehn.«
»Eine Schulfreundin?«
»Nein, nein. An meiner Schule gab es nur Jungs. Sie war eine Freundin meiner Schwester.«
»Haben Sie ihr einen Antrag gemacht? Sind Sie mit ihr durchgebrannt?«
»Etwas mehr Feingefühl, bitte. Es hat mir das Herz gebrochen. Andrea hatte eine winzige Stupsnase mit Sommersprossen und eine kleine Lücke zwischen den Schneidezähnen. Diese
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