Die schönsten Dinge
Offenbar ist er im Bach vollgelaufen. Tropf. Tropf. Das lauteste Geräusch, das ich je gehört habe.
»Hallo, äh, Ella«, sagt Timothy. »Oje. Meine Sachen. Sind wohl etwas feucht.«
Ich bin schon ziemlich angesäuselt. Als ich Timothy zwischen Julius und Greta stehen sehe, fühlt sich mein Körper vollkommen blutleer an, also bleibt als einzig logische Reaktion, auch meinen Weinbecher zu leeren. Meine übliche Mischung aus Frust und Wut will sich nicht einstellen, mir ist nicht einmal danach, auf irgendwas einzuschlagen. Ich kann ihn bloà anstarren, als wäre statt Timothy ein Neandertaler aus dem Busch gekommen. Daniel starrt ihn auch an, aber er fasst sich schneller. Er rollt weg von mir, steht auf, klopft sich den Staub ab und geht zu Timothy.
»Stellen Sie sich unsere Ãberraschung vor.« Greta sieht aus, als hätte sie Angst, wahrscheinlich vor mir. »Wir hatten uns gerade zu einem gemütlichen Abend mit Wein aus Plastikbeuteln und deutschen Trinkliedern hingesetzt.«
»Ich nicht«, sagt Julius. »Ich habe beschlossen, niemals Alkohol zu trinken. Das wäre respektlos, wo meine Mutter und meine fünfzehn Brüder und Schwestern meilenweit zum Brunnen laufen müssen.«
»Sie wollten gerade die Bratwurst servieren«, erzählt Greta, »da ist einer der Deutschen aufgewacht â wobei es natürlich gar kein Deutscher war. Er hatte einen Sombrero auf dem Kopf unter einem Baum geschlafen. Und siehe da â¦Â«
»Was für ein Zufall, eine echte Schicksalsfügung«, fällt ihr Julius ins Wort. »Da saà auf einmal Ihr guter, alter Freund Mr Timothy, den Glenda und ich von der letzten Weihnachtsfeier im Institut kennen. So wenig ein Deutscher wie wir und gerade aufgewacht.«
»Erst hat er uns nicht erkannt«, erzählt Greta. »Wahrscheinlich hatte er schon ein paar Becher Wein intus. Wir haben ihm noch mal gesagt, wie wir heiÃen, damit er das weiÃ, und haben erzählt, was wir hier machen. Er weià jetzt also Bescheid . Wir haben ihm gesagt, dass Sie arbeiten und er Sie vielleicht lieber nicht stören sollte, aber er hat sich nicht davon abbringen lassen. Unten bei den Touris hat er gleich ein paar neue Freunde gefunden, mit erstaunlich wenig Deutsch.«
»Diese Deutschen sind groÃartige Menschen. Wirklich toll. Unglaublich gastfreundlich zu anderen Reisenden«, sagt Timothy und reibt sich das Kinn. »Ich musste nur Ja sagen, und sie haben mir nachgeschenkt. Ohne sie wäre ich gar nicht über den Bach gekommen. Ich glaube, einmal bin ich reingefallen. Oder zweimal.«
Die drei sehen mich immer noch hoffnungsvoll an, aber ich bekomme kein Wort heraus. Ich gebe auf. Sollen sie mich doch hier begraben. Mir fällt nicht eine Regel meines Vaters ein, die in dieser Situation passen könnte. O nein. Mein Vater. Und Sam. O Gott. Hoffentlich trifft mich ein Meteorit, solange wir noch hier sind, damit ich ihnen das nicht erklären muss. Sam wäre unerträglich. Das »Ich habâs dir doch gesagt« wird er sich zwar sparen, aber sein Blick wird Bände sprechen. Und wenn ich ihm sage, dass wir das Geld nicht haben, wird er wild fluchen und schimpfen. Wenn ich ihm dann erzähle, dass Timothy plötzlich tropfnass mitten im Wald stand, fällt er vor Lachen tot um. Falls es gut läuft.
»Wenn ich so darüber nachdenke«, fährt Timothy fort, »hätte ich besser einen Rucksack statt einen Koffer mitgenommen. Ich dachte nur, die kleinen Räder wären ganz praktisch.«
Das anschlieÃende betretene Schweigen im Walde bricht Greta mit der Frage: »Tim, wie zum Teufel sollten die kleinen Räder praktisch sein?«
»Räder â ähm, Glenda«, sagt Timothy und legt gewichtig die Stirn in Falten, »gehören zu den wichtigsten Erfindungen der Menschheit. Sie sind sogar sehr praktisch.«
Jetzt. Könnte sich die Erde bitte jetzt unter mir auftun?
»Ich wollte schon gestern kommen und mich mit dir auf dem Parkplatz treffen. Mit dir herlaufen. Schon seit ⦠äh ⦠Sam gesagt hat, dass du hierhin fährst«, sagt Timothy. »Er hat wohl nicht gedacht, dass ich wirklich fahren würde.«
»Sam ist mein bescheuerter Bruder«, erkläre ich Daniel.
»Ach so.«
»Mit meinem Navi stimmt was nicht. Blöd, dass es keine Garantie hat. Ich habe mich verfahren. Und beim Telefonieren muss ich die Ausfahrt
Weitere Kostenlose Bücher