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Die schönsten Dinge

Die schönsten Dinge

Titel: Die schönsten Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Jordan
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umdrehen, und vielleicht tauschen wir die Rollen. Vielleicht drückt dann er mir eine Hand auf den Rücken, mit den Fingern nach unten, und sie wandern ein kleines Stückchen hinab, unter meine Hose, unter das Bündchen meines Slips.
    Unten am Strand schreit jemand, dann stimmen die Camper ein Trinklied an. Ich schüttle den Kopf. Ich habe ihn berührt, obwohl ich mir das Gegenteil vorgenommen hatte. Konzentrier dich, sage ich mir. Trink etwas Wasser. Ich blinzle ein paarmal, rolle mich herum, setze mich auf und krabble zurück zum anderen Ende der Decke.
    Â»Man hat geglaubt, Menschen würden im Mutterleib die verschiedenen Stadien unserer evolutionären Entwicklung durchlaufen. Embryos wären erst Fische, dann Salamander und Schildkröten und Hühner, bevor sie Menschen würden. Eine tolle Theorie. Schade, dass sie nicht stimmt. Sie klingt überzeugend. Wir sollten das immer in uns tragen, unsere ganze Vergangenheit, die Überreste von dem, was wir einmal waren.«
    Â»Wenn Sie es so formulieren, gefällt es mir nicht. Es wäre doch eine enorme Last, alles mit sich herumzuschleppen, was man je war.« Seine Stimme klingt, als würde die Dunkelheit sie dämpfen.
    Â»Da haben Sie wohl recht«, sage ich. »Jedem steht ein neuer Anfang zu.«
    Â»Was wollen Sie wirklich?«, fragt er.
    Ich sehe ihm in die Augen, direkt und ehrlich. »Keine Angst. Bei mir sind Sie sicher. Ich will nur Ihren Scheck.«
    Als er zu einer Antwort ansetzt, erschrecken wir beide über Geräusche, die aus weiter Ferne zu kommen scheinen, über Schritte und leise Stimmen. Greta und Julius kommen den Weg zu den Zelten herauf. Dann tauchen sie, beschienen vom Mond, am Rand der Lichtung auf, jeder mit einer Taschenlampe in der Hand. Sie waren extra laut, haben mit den Füßen geschlurft und sich unterhalten, um uns vorzuwarnen. Greta ist blass wie noch nie, und Julius scheint es nicht gut zu gehen.
    Â»Hoffentlich stören wir nicht«, sagt Greta. »Wir wollten uns den Abend ja freinehmen und ein bisschen entspannen. Aber unten am Strand haben uns die deutschen Touristen auf ein paar Gläser eingeladen.«
    Â»Wir haben uns nur unterhalten«, sage ich. »Da ist noch eine Decke. War es denn nett?«
    Â»Das war eine äußerst gesellige Zusammenkunft«, sagt Julius. »Sie haben sich sehr für meine Geschichten aus Afrika interessiert, vor allem für die, als ich mal unter einem Affenbrotbaum hergegangen bin und mir ein Gepard fast auf den Kopf gesprungen wäre. Und ich wollte natürlich alles über ihre Wildtiere hören, vor allem über die Wildschweine im Schwarzwald bei Düsseldorf.«
    Greta und Julius benehmen sich seltsam. Sie reden mit einer gekünstelten Natürlichkeit, aber ihre Blicke huschen hin und her, und Julius beißt sich auf die Lippen. Greta sieht mich schnaubend an und beißt sich in die Wange. Ich richte mich auf. Allmählich bekomme ich ein ungutes Gefühl.
    Â»Ach, und Ella«, sagt Greta. »Wir haben eine Überraschung für Sie. Die Deutschen haben am späten Nachmittag schon einen Wanderer aufgelesen. Er war allein unterwegs und hatte Probleme, über den Bach zu kommen. Sie haben mit ihrem neuen Gast gegessen, und bis wir unten am Strand waren, hatten sie schon drei Beutel Wein geleert. Raten Sie mal, wer das war.«
    Greta macht einen Schritt zur Seite und vergräbt das Gesicht in den Händen. Es ist dunkel, aber im Schein unserer Kerosinlampe kann ich hinter ihr auf dem Weg eine schwankende Gestalt ausmachen. Julius tritt auch beiseite und reibt sich mit geschlossenen Augen über die Stirn, als würde er Migräne bekommen. Hinter ihnen steht – mit verquollenen Augen und feuchten Haaren, in einem verschossenen blauen Trainingsanzug und Turnschuhen und mit einem Hartschalenkoffer als Gepäck – Timothy.

J etzt ist die Reihe an mir, die Augen zu schließen. Sie fest zusammenzukneifen. Vielleicht öffne ich sie nie wieder. Vielleicht ist das nur ein Traum. Genau. Wenn ich die Augen öffne, ist er verschwunden.
    Ich öffne sie. Er ist nicht verschwunden. Er steht da auf meinem Weg in meinem Nationalpark mitten in meinem Coup und sieht in seinem Trainingsanzug aus wie ein Insasse einer Irrenanstalt auf Freigang. Den sichtlich schweren Koffer umklammert er mit beiden Armen. Als er ihn etwas anders greift und sich die Neigung verändert, tropft es aus dem Koffer.

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