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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Bekannte empfangen und bewirtet werden. Doch nun, nachdem die letzten Gäste aufgebrochen waren, beabsichtigte Wassili Andrejitsch, unverzüglich zu einem benachbarten Gutsbesitzer zu fahren, um ein Stück Wald zu kaufen, dessentwegen er schon seit langem mit ihm verhandelte. Wassili Andrejitsch wollte keine Zeit versäumen, damit ihm nicht Kaufleute aus der Stadt bei diesem vorteilhaften Kauf zuvorkämen. Der junge Gutsbesitzer forderte für den Wald wahrscheinlich nur deshalb zehntausend Rubel, weil er, Wassili Andrejitsch, bereits siebentausend geboten hatte. Siebentausend Rubel stellten indessen nur ein Drittel des wirklichen Wertes des Waldes dar. Vielleicht hätte Wassili Andrejitsch vom geforderten Preis noch etwas abhandeln können, da der Wald in seinem Bezirk lag und zwischen ihm und den übrigen ländlichen Kaufleuten des Kreises schon seit langem eine Übereinkunft bestand, der zufolge kein Kaufmann im Bezirk eines andern die Preise in die Höhe treiben sollte; doch war ihm jetzt zu Ohren gekommen, dass sich auch Holzhändler aus der Gouvernementshauptstadt um den Wald von Gorjatschkino bemühen wollten, und er hatte sich daraufhin entschlossen, sofort hinzufahren und den Kauf mit dem Gutsbesitzer endgültig abzuschließen. Unmittelbar nachdem der Festtagstrubel vorüber war, nahm er daher siebenhundert Rubel eigenes Geld aus der Kassette, fügte noch zweitausenddreihundert von den in seiner Verwahrung befindlichen Kirchengeldern hinzu, um rund dreitausend Rubel beisammenzuhaben, steckte das Geld dann, nachdem er es nochmals sorgfältig gezählt hatte, in seine Brieftasche und machte sich reisefertig.
    Der Knecht Nikita, der als Einziger von Wassili Andrejitschs Gesinde an diesem Tag nüchtern war, lief in den Stall, um anzuspannen. Nikita war früher hin und wieder dem Trunk verfallen, aber nach den letzten Fastnachtsfeiern, bei denen er seine Joppe und die Lederstiefel verjubelt hatte, hatte er sich geschworen, mit dem Trinken aufzuhören, und trank nun schon seit bald zwei Monaten nicht mehr. Auch diesmal, als während der ersten beiden Feiertage allenthalben viel gezecht wurde, hatte er der Versuchung beharrlich widerstanden.
    Nikita war ein fünfzig Jahre alter Bauer aus einem Nachbardorf; er stand im Ruf, nicht gut wirtschaften zu können, und hatte den größten Teil seines Lebens nicht zu Hause, sondern im Dienst anderer Leute zugebracht. Man schätzte ihn allgemein wegen seines Fleißes, seiner Geschicklichkeit sowie seiner Ausdauer bei der Arbeit und insbesondere wegen seines gutmütigen, freundlichen Charakters; doch war er nirgends sesshaft geworden, weil er sich zweimal im Jahr und mitunter auch noch öfter sinnlos betrank und dann nicht nur alles verjubelte, was er am Leibe hatte, sondern auch randalierte und Händel anzettelte. Auch Wassili Andrejitsch hatte ihn schon mehrmals an die Luft gesetzt, aber immer aufs Neue eingestellt, da er große Stücke auf seine Redlichkeit und seine Liebe zu den Tieren hielt und weil er vor allem an ihm eine billige Arbeitskraft hatte. Wassili Andrejitsch zahlte Nikita anstatt achtzig Rubel, wie es einem solchen Arbeiter zugestanden hätte, nur vierzig, die er ihm, ohne eine Abrechnung vorzunehmen, in kleinen Raten aushändigte – und auch das zumeist nicht in bar, sondern in Waren zu hohen Preisen aus seinem Laden.
    Nikitas Frau, Marfa, ehemals eine hübsche, lustige Person, wirtschaftete zu Hause mit einem halbwüchsigen Sohn und zwei Töchtern. Sie legte keinen Wert auf Nikitas Anwesenheit im Hause, weil sie erstens schon seit zwanzig Jahren mit einem Böttcher, einem Bauern aus einem entfernten Dorf, zusammenlebte, der bei ihnen wohnte, und zweitens, weil sie ihren Mann zwar scharf an der Kandare hielt, wenn er nüchtern war, ihn jedoch in trunkenem Zustand wie das Feuer fürchtete. Eines Tages hatte sich Nikita zu Hause einen Rausch angetrunken und – wahrscheinlich, um sich an seiner Frau für die ihm so lange aufgezwungene Unterwürfigkeit zu rächen – ihre Truhe aufgebrochen, ihren kostbarsten Putz herausgenommen und mit dem Beil auf dem Holzblock alle ihre Kleider und schmucken Sarafane in kleine Stücke zerhackt. Alles, was Nikita verdiente, wurde seiner Frau ausgehändigt, wogegen er auch keinen Einspruch erhob. So war Marfa auch eben erst, zwei Tage vor dem Feiertag, zu Wassili Andrejitsch gekommen und hatte sich von ihm weißes Mehl, Tee, Zucker und ein Achtel Branntwein im Gesamtwert von etwa drei Rubel sowie fünf Rubel in bar geben

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