Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
Andrejitsch, aber in welche Richtung sollen wir denn fahren? Drüben ist eine Schlucht; wenn wir in die reingeraten, kommen wir überhaupt nicht mehr heraus. Ich bin dort so im Schnee versackt, dass ich mich nur mit Müh und Not herausgearbeitet habe.«
»Ja, wir können aber hier nicht einfach stehenbleiben! Irgendwohin müssen wir doch fahren«, erklärte Wassili Andrejitsch.
Nikita antwortete nichts. Er setzte sich, den Rücken dem Wind zugekehrt, auf den Schlittenrand, zog seine Stiefel aus, schüttete den Schnee heraus und verstopfte am linken Stiefel von innen mit einem kleinen Büschel Stroh sorgfältig ein Loch.
Wassili Andrejitsch schwieg und schien entschlossen zu sein, alles Weitere Nikita zu überlassen. Nachdem dieser seine Stiefel wieder angezogen hatte, schwang er sich in den Schlitten, zog die Fausthandschuhe an und lenkte das Pferd am Abgrund vorbei. Doch waren sie noch keine hundert Schritt gefahren, als das Pferd sich aufs Neue sträubte weiterzugehen. Vor ihm gähnte abermals ein Abgrund.
Nikita stieg wieder aus und stapfte durch den Schnee. Er blieb eine ganze Weile weg. Schließlich kam er von der entgegengesetzten Seite zurück,
»Seid Ihr noch da, Andrejitsch?«, rief er schon von weitem.
»Ja, hier!«, rief Wassili Andrejitsch ihm zu. »Nun, wie ist es?«
»Man kann sich nicht zurechtfinden in der Dunkelheit. Ringsum sind lauter Schluchten. Wir müssen wieder gegen den Wind fahren.«
Sie fuhren ein Stück – und abermals stapfte Nikita durch den Schnee, stieg wieder ein und wieder aus und irrte aufs Neue auf dem Schneefeld umher, bis er schließlich schwerkeuchend zurückkam und vor dem Schlitten stehenblieb.
»Na, wie ist es?«, fragte Wassili Andrejitsch.
»Immer dasselbe, bin schon ganz erschöpft. Und das Pferd kann auch nicht mehr.«
»Ja, was wollen wir nun machen?«
»Warte noch eine Weile!«
Nikita ging wieder fort, kehrte aber bald zurück.
»Fahr hinter mir her!«, sagte er und ging dem Schlitten voraus.
Wassili Andrejitsch gab jetzt keinerlei Anweisungen mehr, sondern fügte sich widerspruchslos allem, was Nikita sagte.
»Hierher, mir nach!«, rief Nikita, während er mit schnellen Schritten nach rechts abbog, Muchorty am Zügel nahm und ihn in eine mit Schnee überhäufte Mulde hinabführte.
Muchorty sträubte sich zunächst, zog dann aber mit einem scharfen Ruck an und versuchte, die verwehte Mulde zu überspringen; doch er schaffte es nicht und versank bis zum Kumt im Schnee.
»Steig aus!«, rief Nikita Wassili Andrejitsch zu, der im Schlitten sitzen geblieben war, worauf er sich gegen eine der Deichselstangen stemmte und den Schlitten auf das Pferd zuschob. »Ja, das ist schwer, mein Guter«, redete er auf Muchorty ein, »aber da hilft nichts, du musst dich schon anstrengen! So, so, noch ein bisschen!«, rief er.
Das Pferd zog einmal, zog noch einmal an, kam jedoch nicht heraus und blieb wieder regungslos stehen, als dächte es über etwas nach.
»Na, Brüderchen, so geht es nicht«, redete Nikita Muchorty gut zu. »Komm, streng dich noch mal an!«
Nikita stemmte sich abermals gegen die eine Deichselstange, und Wassili Andrejitsch half von der andern Seite nach. Das Pferd bewegte den Kopf und bäumte sich plötzlich auf.
»Nu, nu! Sei nicht bange, wirst nicht versinken!«, schrie Nikita.
Ein Satz, ein zweiter, ein dritter – und das Pferd arbeitete sich zu guter Letzt aus der verwehten Mulde heraus, blieb schwerkeuchend stehen und schüttelte den Schnee von sich ab. Nikita wollte es weiterführen, doch Wassili Andrejitsch war in seinen zwei Pelzen so außer Atem gekommen, dass er nicht mehr gehen konnte und sich in den Schlitten fallen ließ.
»Lass mich mal verschnaufen«, sagte er und wickelte das Tuch ab, das er sich im Dorf um den aufgeschlagenen Pelzkragen gebunden hatte.
»Bleib nur liegen, ich schaff es schon allein«, sagte Nikita; er fasste das Pferd am Zügel und führte es mit dem Schlitten und dem darin liegenden Wassili Andrejitsch zuerst etwa zehn Schritt bergab, dann ein kurzes Stück bergauf und machte dort halt.
Die Stelle, an der Nikita haltmachte, lag zwar nicht in einer Schlucht – dort hätte der von den Anhöhen herabwehende Schnee sie womöglich unter sich begraben können –, war aber immerhin durch den Rand eines Abhangs einigermaßen gegen den Wind geschützt. Zeitweilig schien es, als ließe der Wind etwas nach, doch es dauerte nicht lange, und der Wind brauste – als wollte er die vorausgegangene Ruhepause wettmachen
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