Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
die Leine hervorgezogen hatte, band er Muchorty wieder an der früheren Stelle an der Vorderwand des Schlittens an. Hierauf ging er um das Pferd herum und rückte ihm das Hintergeschirr, die Sattelriemen und die Decke zurecht; doch in diesem Augenblick sah er, dass sich im Schlitten etwas bewegte und dass sich aus dem Schnee Nikitas Kopf erhob. Nikita, schon ganz steif gefroren, richtete sich offensichtlich unter großer Anstrengung auf, setzte sich hin und machte mit der Hand merkwürdige Bewegungen vor dem Gesicht, als verscheuche er Fliegen. Zugleich sagte er etwas, und Wassili Andrejitsch glaubte herauszuhören, dass er ihn sprechen wolle. Er ließ die Decke liegen, wie sie lag, und trat an den Schlitten heran.
»Nun, was ist? Was sagst du?«, fragte er Nikita.
»Ich, ich ster-be«, stammelte Nikita. »Was ich noch an Lohn zu bekommen hab, gib meinem Sohn oder meiner Frau, das ist gleich.«
»Bist du denn ganz erfroren?«, fragte Wassili Andrejitsch.
»Ich fühle, mein Tod naht… Verzeih mir um Christi willen …«, sagte Nikita mit kläglicher Stimme und machte vor dem Gesicht noch immer dieselben Handbewegungen, als wolle er Fliegen verscheuchen.
Nachdem Wassili Andrejitsch einige Augenblicke still und regungslos am Schlitten verweilt hatte, trat er plötzlich mit der gleichen Entschlossenheit, als wolle er einen vorteilhaften Kauf durch Handschlag bekräftigen, einen Schritt zurück, krempelte die Ärmel seines Pelzes auf und begann mit beiden Händen den auf Nikita und im Schlitten liegenden Schnee herauszuschaufeln. Als er damit fertig war, löste er hastig seinen Gürtel, schlug den Pelz weit auf und legte sich, Nikita einen Stoß versetzend, über ihn, so dass er ihn nicht nur mit dem Pelz, sondern auch mit seinem warmen erhitzten Körper bedeckte. Er steckte die Seiten des Pelzes zwischen Nikita und den Schlittenrand, hielt den Saum mit den Knien fest und hörte nun, wie er so bäuchlings und mit dem Kopf bis an die vordere Schlittenwand reichend dalag, weder die Bewegungen des Pferdes noch das Pfeifen des Windes, sondern horchte nur auf Nikitas Atemzüge. Zuerst lag Nikita eine ganze Weile regungslos, doch dann stieß er einen lauten Seufzer aus und rührte sich.
»Nun siehst du, und da redest du vom Tod«, sagte Wassili Andrejitsch. »Lieg ruhig, erwärm dich, so machen wir es …«
Er brach den Satz ab und konnte zu seiner größten Verwunderung nicht weitersprechen, weil ihm Tränen in die Augen traten und sein Unterkiefer heftig zu zucken begann. Er sagte nichts mehr, sondern schluckte nur. Ich bin ganz ängstlich und schwach geworden, dachte er bei sich. Aber diese Schwäche stimmte ihn nicht traurig, sondern bereitete ihm eine ganz eigenartige, bisher noch nie empfundene Freude.
»Ja, so machen wir es«, murmelte er und verspürte dabei eine besondere, feierliche Rührung. Dann lag er eine ganze Weile schweigend, trocknete sich die Augen am Fell des Pelzes und haschte mit dem Knie nach dem vom Wind immer wieder weggerissenen rechten Zipfel des Pelzes.
Aber er empfand ein unwiderstehliches Bedürfnis, mit jemand über seine frohe Gemütsstimmung zu sprechen.
»Nikita!«, rief er.
»So ist’s gut, schön warm«, ertönte es unter ihm zur Antwort.
»Ja, mein Lieber, beinah wär ich umgekommen. Und auch du wärst erfroren, und ich …«
Doch hier begann sein Unterkiefer wieder zu zucken, seine Augen füllten sich aufs Neue mit Tränen, und er konnte nicht weitersprechen.
Nun, das macht nichts, dachte er, was ich weiß, weiß ich auch so.
Von unten erwärmte ihn Nikita und von oben sein Pelz. Nur seine Hände, mit denen er zu beiden Seiten Nikitas die Pelzschöße festhielt, und seine Füße, von denen der Wind ständig den Pelz zurückschlug, froren. Besonders seine rechte Hand, die ohne Handschuh war. Aber er achtete nicht auf seine Hände und Füße, sondern war ausschließlich darauf bedacht, den unter ihm liegenden Knecht zu wärmen.
Einige Mal blickte er zum Pferd hinüber und sah, dass dessen Rücken unbedeckt war und dass das Sackleinen und Hintergeschirr im Schnee lagen. Er hätte aufstehen und das Pferd zudecken müssen, aber er konnte sich nicht entschließen, Nikita auch nur für ein paar Augenblicke allein zu lassen und die freudige Stimmung zu zerstören, in der er sich befand. Angst empfand er jetzt überhaupt nicht mehr.
So wird er schon wieder werden, sagte sich Wassili Andrejitsch mit der gleichen Selbstzufriedenheit, mit der er sonst von seinen Käufen und
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