Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
Verkäufen sprach.
    So blieb er eine Stunde, eine zweite und eine dritte liegen, und er merkte gar nicht, wie die Zeit verstrich. Anfangs beschäftigten sich seine Gedanken mit den Eindrücken vom Schneesturm, mit dem unter dem Krummholz stehenden Pferd, mit den vor seinen Augen hin und her schwankenden Deichselstangen, und er dachte dabei an Nikita, der unter ihm lag. Dann mischten sich in diese Vorstellungen Erinnerungen an den Feiertag, an seine Frau und den Landpolizeichef, an den Kerzenkasten und an Nikita, der nunmehr unter diesem Kasten lag. Hierauf sah er in seiner Phantasie Bauern, die verkauften und einkauften, weiße Wände und mit Eisenplatten gedeckte Häuser, unter denen wiederum Nikita lag. Dann vermengten sich alle diese Vorstellungen, eine ging in die andere über, und ebenso, wie die Farben eines Regenbogens zu einem einzigen weißen Licht verschmelzen, lösten sich alle seine Phantasiebilder in nichts auf, und er schlief ein. Eine ganze Weile schlief er traumlos, doch vor Morgengrauen begann er wieder zu träumen. Er träumte, er stand vor dem Kerzenkasten, und Tichons Frau bat ihn zum Feiertag um eine Fünfkopekenkerze; aber als er die Kerze aus dem Kasten nehmen und sie ihr geben wollte, konnte er seine Hände, die zusammengeballt in den Taschen steckten, nicht heben. Er wollte um den Kasten herumgehen, doch die Füße gehorchten ihm nicht, seine blank geputzten neuen Gummischuhe waren am Steinfußboden angewachsen, sie ließen sich nicht losreißen, und die Füße aus ihnen herauszuziehen, war auch nicht möglich. Dann verwandelte sich der Kerzenkasten plötzlich in ein Bett, und Wassili Andrejitsch sah sich selbst bäuchlings auf dem Kerzenkasten, das heißt zu Hause, in seinem Bett liegen. Er lag im Bett und konnte nicht aufstehen, was aber dringend nötig war, weil gleich der Polizeichef Iwan Matwejitsch kommen und ihn abholen würde und er dann mit ihm mitgehen musste, entweder um den Wald zu kaufen oder um auf Muchorty das Hintergeschirr zurechtzurücken. Er fragte seine Frau: »Ist er noch nicht da, Nikolajewna?« – »Nein, er ist noch nicht gekommen«, antwortete sie. Dann hörte er vor dem Haus Rädergerassel. Das muss er sein! Nein, der Wagen fuhr vorüber. »Nikolajewna, höre, Nikolajewna, ist er denn noch immer nicht gekommen?« – »Nein, noch nicht.« So lag er im Bett, konnte nicht aufstehen und wartete und wartete, und bei diesem Warten war ihm zugleich bange und freudig zumute. Und dann geschah das Beglückende: Der von ihm Erwartete kam, war aber gar nicht der Polizeichef Iwan Matwejitsch, sondern ein anderer – eben der, auf den er wartete. Er kam und rief ihn, und er war es auch, der ihn zu Nikita gerufen und ihm geboten hatte, sich über ihn zu legen. Wassili Andrejitsch freute sich, dass dieser andere gekommen war, um ihn abzuholen. »Ich komme!«, schrie er voller Freude und wachte dabei auf. Aber er war jetzt, als er erwachte, ein völlig umgewandelter Mensch. Er wollte aufstehen – er konnte es nicht; er wollte die Hand heben – es gelang ihm nicht, und ebenso wenig ließ sich der Fuß bewegen. Er versuchte, den Kopf zu wenden – auch das war ihm unmöglich. Das verwunderte ihn, stimmte ihn jedoch nicht im Geringsten traurig. Er begriff, dass der Tod zu ihm gekommen war, und nahm das ohne jegliche Trauer auf. Dann erinnerte er sich Nikitas, der unter ihm lag, sich erwärmt hatte und lebte – und es schien ihm, dass er selbst Nikita und Nikita er sei; es war ihm, als hätte sich sein eigenes Leben auf Nikita übertragen. Er strengte sein Gehör an und hörte die Atemzüge, ja sogar ein leises Schnarchen Nikitas. Nikita lebt, also lebe auch ich, sagte sich Wassili Andrejitsch triumphierend.
    Und als er nun an sein Geld, seinen Laden, sein Haus, seine Käufe und Verkäufe und an die Millionen Mironows dachte, konnte er gar nicht begreifen, dass dieser unter dem Namen Wassili Brechunow bekannte Mensch sich mit all diesen Dingen beschäftigt und ihnen so große Bedeutung beigemessen hatte. Nun ja, er hat nicht gewusst, was wirklich wichtig ist, sagte er sich in Gedanken an jenen Wassili Brechunow. Er hat nicht gewusst, was ich jetzt weiß. Jetzt weiß ich es mit voller Gewissheit. Ja, jetzt weiß ich es. Und er hörte wieder den Ruf dessen, der ihn schon vorhin gerufen hatte. Ich komme, ich komme!, antwortete beglückt seine ganz in Rührung aufgelöste Seele. Er fühlte, er war frei, und ihn hielt nichts mehr zurück.
    Und fortan hat Wassili Andrejitsch hier auf

Weitere Kostenlose Bücher