Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
ein Schuss löste sich und traf ihn in die Brust, sodass er tot zu Boden stürzte.
Auch sein älterer Bruder soll später die Gämse gesehen haben und bald darauf in der Schlucht umgekommen sein. Von den drei Brüdern war dann nur noch der jüngste am Leben und seine Verlobte bat ihn, bei seinen Jagdausflügen niemals auf die Weiße Wand zu gehen. Aber genau dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los und es wurde sein geheimer Wunsch, die Weiße Gämse zu sehen. Immer höher und höher stieg er im Gebirge hinauf, bis zu einer Stelle, wo er nicht mehr weiterkonnte. Er blickte sich um – und da stand sie, die Weiße Gämse. Sie war nur einen Büchsenschuss entfernt und ehe er anlegen konnte, stürzte er rückwärts in den Abgrund hinunter.
Als der Bursche am Abend nicht nach Hause kam, machte sich seine Liebste auf den Weg, um ihn zu suchen. Sie wollte es nicht wahrhaben, denn sie hatte ihn doch immer und immer wieder davor gewarnt, aber sie wusste genau, wo sie ihn zu suchen hatte. Als sie am Fuße der Weißen Wand ankam, da fand sie auch schon seinen Jägerhut und die Büchse und nicht weit davon entfernt den blutigen, zerschellten Leichnam ihres Bräutigams.
Seitdem wurde die Weiße Gämse nie wieder in der Weißen Wand gesehen, manche sagen, sie wäre über die Grenze nach Italien weitergezogen.
Die Unglücksbraut
An der Gmundner Pfarrkirche befindet sich auf einem Grabstein eine Inschrift, die zunächst nur auf die Person Bezug nimmt, die in diesem Gab beerdigt liegt. Es ist die edle Frau Maria Regina Zeylin, „gebohrene Schmidin von Schmidberg“, welche am 16. April 1677 gestorben ist. Dann aber folgt ein rätselhafter Text:
„Leser löse auf die Worth:
Halb an ein halb andern orth.
Mutter, Tochter und ihr Mann,
Drey und eins man finden kann.
Wan das ein zu drey wird genommen,
Werden erst drey ganz vollkommen.“
Das Ehepaar Zeylin war glücklich verheiratet und im zweiten Jahr ihrer Ehe war Maria Regina schwanger. Bei der Geburt des Kindes verstarb sie jedoch und ihr Mann war darüber so verzweifelt, dass er seine neugeborene Tochter zu Pflegeeltern gab. Er wollte durch nichts mehr an diesen schweren Schicksalsschlag erinnert werden und auch die gewohnte Umgebung war ihm mit einem Mal so verhasst, dass er nach Amerika auswanderte. Keiner hatte mehr Kontakt zu ihm, keiner hatte auch nur eine Ahnung, wo er sein könnte, und so galt er für die Heimat von nun an als verschollen.
Seine Tochter aber wuchs gut behütet bei ihren Pflegeeltern auf und wurde ebenso schön und bewundernswert wie ihre Mutter einst. Im Alter von siebzehn Jahren trat sie in den Dienst eines Gmundner Gasthauses ein. Eines Tages kehrte ein Unbekannter ein und nahm sich dort ein Zimmer. Wer den Gast zusammen mit dem Mädchen sah, der wusste, dass sich hier zwei Seelen gefunden hatten, und bald wurde alles für eine Hochzeit vorbereitet. Eines Tages erzählte das Mädchen seinem Verlobten von ihrem traurigen Schicksal und dem Fremden stieg eine furchtbare Ahnung davon auf, wen er hier vor sich haben könnte. Ein kleines Mal, das auch die Mutter des Kindes getragen hatte, brachte ihm die Gewissheit, dass die Braut seine eigene Tochter war. Und in zwei Tagen sollte Hochzeit sein! Da lud er sie für den letzten Abend vor der Hochzeit zu einer Zusammenkunft beim Schloss Orth ein. Als die Ahnungslose kam, stürzte er sich mit ihr in den See.
Am nächsten Morgen fanden Fischer die Leichen im See und im Friedhof von Altmünster wurden die beiden zur letzten Ruhe bestattet.
Agnes von Rannariedl
In der Mitte des 10. Jahrhunderts drangen die Reiterscharen der Magyaren immer öfter auch nach Oberösterreich vor. Wenn sie am Horizont auftauchte und das dumpfe Stampfen der noch fernen Hufe den Boden erschütterte, dann mussten die Dorfbewohner so schnell wie möglich flüchten, denn dann war das Rasseln der tödlichen Waffen nicht mehr fern. Die Angreifer kamen aber nicht nur in der Nacht, schon zu Sonnenuntergang konnte eine Region im Qualm des Feuers liegen. Die herangaloppierenden Reiter auf ihren flinken, struppigen Pferden ließen nur rauchende Trümmer und zerstampften Grund und Boden hinter sich, auf dem lange kein Gras mehr wuchs. Den Menschen blieb kein anderer Ausweg, als sich in die Berge zu retten, denn hier fühlten sich die berittenen Verfolger nicht so sicher. In der Ebene waren sie kampferprobt und nahezu unbesiegbar, die Berggegenden aber mieden sie und darum blieb das Land im Norden der Donau vor den Magyaren
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