Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
Anwesenden nach vorne drängten, da trafen sich ihre Blicke. Der junge Priester fühlte ein Gefühl in sich, wie er es noch nie zuvor gespürt hatte, er errötete und senkte tief beschämt seine Augen nieder. Seit Monaten hatte er sich auf den Tag seiner Primizfeier gefreut, doch spürte er trotz der Feierlichkeiten keine Freude mehr. Er hatte in diesem kurzen Augenblick die Liebe kennengelernt und die Aussichtslosigkeit dieser unbekannten Neigung machte ihn traurig. Zugleich fühlte er sich aber auch schuldig, weil er doch gerade erst das Gelübde abgelegt hatte. Er hatte nur noch das schöne Gesicht des Mädchens vor Augen, ja selbst im Traum begegnete es ihm, und als er sich am nächsten Morgen als Erster in die Kirche rettete, selbst da blieb die Erinnerung an die junge Frau immer an seiner Seite. Wie er nun auf seinen Platz im Chorgestühl kam, da blitzte ihm etwas Weißes entgegen. Zögernd setzte er sich hin und sah sich das Objekt genauer an – es war eine weiße Rose!
„Nein, das kann nicht sein“, durchfuhr es seinen Kopf, „mein Leben hat doch gerade erst angefangen, es kann doch nicht schon zu Ende sein! Bestimmt liegt hier ein Irrtum vor – wahrscheinlich war die Rose gar nicht für mich, sondern für meinen Nachbarn.“
So legte er die weiße Rose auf den nächsten Platz, der dem greisen Pater Vinzenz gehörte. Dieser bat den Herrgott schon lange um Erlösung von dem Erdenleben und als er zu seinem Platz kam, freute er sich innig, dass er nun endlich zum Herrn gehen durfte. Kaum hatte er seinen Platz eingenommen, so fiel er tot im Betstuhl zusammen.
Wenig später stand die Frau des Verwalters an der Klosterpforte und fragte besorgt, ob nicht vielleicht ihre Tochter von den Brüdern gesehen worden war. Diese musste sich noch vor Sonnenaufgang davongeschlichen haben und wurde von niemandem bisher gesehen. Alle Leute machten sich auf die Suche und endlich wurde sie gefunden. Ihre zerschmetterten Überreste wurden am Fuße des Felsens gefunden, auf dem das Kloster steht – sie war freiwillig von dort hinabgesprungen. Und nun stellte sich auch heraus, dass sie es gewesen war, welche die weiße Rose in aller Frühe auf den Betstuhl des neuen Mönches gelegt hatte. Es sollte das Zeichen ihrer unschuldigen Zuneigung sein, doch davon wusste Johannes nichts, er erfuhr es erst viel zu spät. Da er es aber gewesen war, der das vermeintliche Todeszeichen an seinen Mitbruder weitergereicht hatte, machte er sich tiefe Vorwürfe, diesen in den Tod getrieben zu haben. Den ganzen Tag trieb es ihn im Kloster umher. Nirgends fand er Rast, nirgends fand er Ruhe. Um sein Fehlverhalten zu sühnen, soll er sein ganzes Leben der Barmherzigkeit geweiht haben. Viele Jahre vergingen und Tag für Tag wartete er nun darauf, dass die weiße Rose noch einmal zu ihm, auf seinen Platz, kommen möge. Aber sein Warten schien kein Ende nehmen zu wollen. Eines Tages dann fand man den Neunzigjährigen tot, mit sanften Gesichtszügen, auf dem Grabe des Paters Vinzenz. In seiner rechten Hand hielt er die weiße Rose umklammert.
Das war das letzte Rosenwunder, mit dem Gott Kloster Arnoldstein gewürdigt hat.
Die Weiße Gämse
In Egg bei Hermagor lebte einmal ein sehr reicher Mann mit seiner bildschönen Tochter. Ein armer Bursche aus dem Dorf hatte sich unsterblich in sie verliebt und eines Tages nahm er seinen ganzen Mut zusammen, um ihr seine Liebe zu gestehen. Aber sie lachte nur spöttisch und gab ihm zur Antwort, dass sie ihn erst dann heiraten würde, wenn er goldene Haare und goldene Zähne hätte. Als Antwort auf diese Verhöhnung sprach der Bursche einen furchtbaren Fluch aus und die schöne junge Frau wurde in eine Weiße Gämse verwandelt.
Manchmal wurde die Gämse von Jägern auf der Weißen Wand bei der Eggeralm gesehen. Wenn diese dann ihr Gewehr anlegten, um auf sie zu schießen, da stand im gleichen Moment eine weiße Jungfrau vor ihnen und niemand wagte dann noch abzudrücken. Doch jeder, dem die Weiße Gämse einmal begegnet war, den traf ein Unglück. So wurde die Weiße Wand gemieden, denn jedem war sein Leben lieb.
Jahre später lebten im Dorf drei Brüder, die waren tüchtige Jäger. Ein alter Mann erzählte ihnen von der Weißen Gämse, und nun ging ihnen das dämonische Tier nicht mehr aus dem Kopf. Einer stieg in die Weiße Wand und erblickte in der Ferne die Gämse. Jetzt, da er sie selber gesehen hatte, glaubte er an ihre Existenz und wollte nur noch weg von diesem Ort. Hastig machte er sich davon, doch
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