Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
Geld besaß. Auch die Gräfin aus Wildeneck gehörte dazu, deren Burg am Irrsee lag. Die Festung war schon allein durch ihre steile Lage gut vor feindlichen Angriffen geschützt, wurde sie doch zum Schutz des Landes erbaut und besaß auch mehrere Wirtschaftsgebäude, sodass sie auf niemanden angewiesen war. Noch heute kann man dort einen Dörrofen und eine alte Mühle aus dieser Zeit bewundern. Die Gräfin aus Wildeneck hatte sich gerade erst eine neue Kutsche bauen lassen, die war über und über von Gold überzogen, und sie freute sich jetzt schon auf das Gesicht, wenn die Gräfin von Lichtentann ihr zentnerschweres Prunkstück sehen würde.
Und heute war der Tag gekommen, an dem sie die Gräfin von Lichtentann in Henndorf am Wallersee besuchen wollte. Jene Dame hatte in eines der bedeutendsten Adelsgeschlechter des Mittelalters, das der Herren von Tann, eingeheiratet. Diese Familie stand seit jeher in enger Verbindung mit den Erzbischöfen von Salzburg, und die Grafschaft Lichtentann verfügte sogar über das Hochgericht der Todesstrafe.
Die Wildeckerin ließ nun die goldene Kutsche anspannen und fuhr durch den Schoberwald die breite Straße durch den Wald bei Sommerholz bis nach Lichtentann hinunter.
Wie ein goldener Pfeil schoss die Kutsche durch den Wald, und jeder, der sie sah, blieb vor Staunen stehen. Selbst die Geschirre der Rösser waren aus purem Gold, einzig der Kutscher passte nicht recht zu diesem Bild des Reichtums. Arm und zerlumpt saß er auf dem Kutschbock und musste den barschen Befehlen der Gräfin gehorchen.
Als dann die goldene Kutsche auf Burg Lichtentann ankam, erregte sie großes Aufsehen, und die Wildenecker Gräfin freute sich diebisch über das dumme Gesicht, welches die neidische Freundin bei diesem Anblick zog. Doch die Gastgeberin wollte der Nachbarin ein Schnippchen schlagen, zog deren Besuch immer länger hinaus, ließ immer bessere Speisen servieren und wusste immer noch eine delikate Kleinigkeit aus dem Nähkästchen der anderen Adelsfamilien zu erzählen. Es war schon fast dunkel, als der Besuch seinen Heimweg nach Wildeneck antrat und damit schon fast zu spät. Die Gräfin war sich ganz sicher und wollte an jenem Tag noch vor Einbruch der Dunkelheit auf ihrer Burg sein – das wäre ja gelacht, wenn sie mit ihrer neuen Prunkkarosse nicht nach Hause kommen würde!
„Kutscher, auf dem schnellsten Weg nach Hause“, befahl sie schroff und der Kutscher trieb die Pferde an, so gut es nur ging.
Doch diese Kutsche war wegen des Goldes schwerer als eine normale Kutsche und die Pferde hatten eine zigfache Last zu ziehen, und so sehr er die Pferde auch antrieb, es ging einfach nicht schneller. Und wieder rief die garstige Gräfin:
„Ja, versteht Er mich nicht? Schneller soll Er fahren, schneller, s-c-h-n-e-l-l-e-r, schneller, geht das wohl in Seinen dummen Schädel rein?“
Der Kutscher gab sein Bestes, die Pferde waren schweißnass, sie schäumten bereits; mehr konnte er beim besten Willen nicht tun. Als es dann nach Sommerholz auch noch bergan ging, ließ er die Tiere im Schritt gehen, damit sie diese Fahrt nicht mit dem Leben bezahlen mussten.
„Wenn wir vor Sonnenuntergang nicht auf der Burg sind, dann wird Er den Teufel kennenlernen“, rief die Gräfin außer sich.
Und als der Kutscher leise meinte, dass die Sonne doch schon längst untergegangen sei, da begann die Gräfin zu fluchen, wie es mancher Soldat noch nicht gehört hatte. Als dann das Abendläuten des nahen Kirchleins Sommerholz zu hören war, östlich von Neumarkt gelegen, da gingen die Pferde nicht mehr weiter und der Kutscher faltete die Hände zum Gebet.
Wieder begann die Gräfin zu schreien und zu toben und der Kutscher fragte sie gutmütig, ob sie denn nicht das Läuten der Kirchenglocken von Sommerholz gehört habe.
„Das Gebimmel ist mir gleich! Meine goldene Kutsche ist zum Fahren gedacht und nicht zum Beten. Fahren soll meine Kutsche – und wenn sie der Teufel holt!“
Und nun hörte der Kutscher keinen Laut mehr, alles war ganz still, der Wald war ruhig und leise und fast beängstigend. Mit einem Mal begannen die Pferde sich in ihrem Gespann aufzubäumen und der Kutscher erkannte plötzlich, was da passierte: Die Kutsche versank langsam im Erdboden! Schnellstens begann er nun die Pferde aus dem Geschirr zu schneiden und wollte noch der Gräfin aus der Kutsche helfen, doch die war versteinert und konnte nicht mehr gerettet werden. Die goldene, schwere Kutsche versank mit der versteinerten Gräfin
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