Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
Menschenhand geläutet. Es musste sich um ein Wunder gehandelt haben und so gelobte die Gräfin, von nun an täglich um die gleiche späte Abendstunde das Glöcklein läuten zu lassen. Wenn sich wieder einmal ein Wanderer im Wald verirren würde, dann sollte auch ihm diese Glocke den Weg nach Fischamend weisen. Seit dieser Zeit wurde die Glocke von Fischamend täglich um diese Stunde geläutet.
Doch auch der Fluch des Einsiedlers ging nach dem Tod der Gräfin in Erfüllung. Immer wenn es zu dunkeln beginnt, fährt die Geistergräfin mit ihrer Meute ähnlich der Wilden Jagd tobend über Felder, Auen und Wälder. Wenn dann der Klang der Kirchenglocke von Fischamend erklingt, dann schwenkt die Geisterjagd dem Läuten nach und verschwindet schließlich in den Auen. Wenn das Abendglöcklein vorher traurig und klagend geklungen haben mag, so hört man es gleich danach in hellem, freudigem Ton in der ruhigen Nacht, bis in die weite Umgebung.
Von weltlichen Richtern und dem Gericht Gottes.
„Sofort wurde das schreckliche Gericht vollzogen.“
Der Jolerbühel
Am oberen Ende des Dorfes Bezau erhebt sich mitten auf dem Feld der Jolerbühel. Wo heute jedoch der Hügel steht, da befand sich vor langer Zeit ein reiches Bauernhaus, umgeben von einem schönen Feld. Einmal kam ein unbekannter Bettler und bat den Bauern um eine kleine Gabe. Der Bauer aber war geizig und hatte kein Herz und wies dem Bettler die Tür. Da drehte sich das unbekannte Männlein noch einmal um und sagte mit drohender Miene:
„Warte nur, wenn auch du mir nichts gibst, so werde halt ich dir dafür etwas bringen!“
Kaum war das Männlein verschwunden, so schwärzte sich der Himmel. Bald hörte man von den Bergen her, aus dem Greberntobel herab, ein fürchterliches Tosen, und ehe man sich versah, schoss das Wasser in Strömen aus dem Tobel, führte große Steine und Tannen mit und überschwemmte und überschüttete die Felder. Mitten in den tobenden Fluten erschien das unbekannte Männlein mit einem großen Drachen, den es an einer roten Schnur führte, und blieb oberhalb vom Haus des Bauern stehen. Der Drache begann nun mit seinem Schwanz zu schlagen und stieß alle vom Wasser herabgerollten Felsblöcke und Baumstämme direkt auf das Haus des Bauern, so dass es mit Mann und Maus verschüttet wurde und noch ein ganzer Hügel sich drüberhäufte.
Nachdem das Männlein so die Lieblosigkeit des geizigen Bauern vergolten hatte, führte es zur größten Verwunderung der Leute den Drachen an der roten Schnur mitten durch das Dorf hinab, schlug den Weg gegen Andelsbuch ein und wurde nie wieder gesehen. Keine Seele erfuhr jemals, woher das Männlein gekommen und wohin es mit dem Drachen gezogen war. Der Jolerbühel aber breitet sich mit seinem langgestreckten Rücken noch heute mitten im Feld aus als Beispiel und Warnung, wie Hartherzigkeit und Geiz zuweilen schon auf Erden bestraft werden.
Die Schwörtratte und das wilde Loch
In Neumarkt im Bezirk Murau liegt östlich der Schinderberg oder auch Kühberg genannt. Dieser Berg gehörte zu einem Teil den Bürgern von Neumarkt und zum anderen Teil den angrenzenden Bauern. Die Bürger hatten aber vom einen auf den anderen Tag genug davon, dass die Bauern dort ihre Kühe weideten, und überhaupt hatten sie allerhand Ideen, was man alles mit diesem Berg anfangen könnte. Doch dafür wäre es sinnvoll, wenn ihnen allein der Kühberg gehören würde, und so versuchten sie mit allen Mitteln zu beweisen, dass der Anteil der Bauern am Berg widerrechtlich sei. Die Bauern ließen sich aber nicht einschüchtern und blieben dabei, dass nach altem Recht ihnen die Hälfte vom Kühberg gehörte Da die Bürger und die Bauern zu keiner Einigung kamen, ging die Sache vor den Richter. Um zu einem Urteil zu gelangen, lud der Richter beide Parteien auf den Kühberg. Bei schönstem Sonnenschein zogen nun Bauern, Bürger, Rat und Richter auf den Berg, und auf Karren und Eseln zerrten sie Tische und Bänke mit hinauf. Eine kleine Lichtung wählten sie, um dort Gericht zu halten, und die Gerichtsdiener mussten schnell die Sitzgelegenheiten arrangieren und die Aktenordner vorlegen. Der Richter erhob sich von seinem Stuhl und sprach:
„Unter Gottes freiem Himmel werden wir heute Gericht darüber halten, wem der Berg und wem ein Anteil daran gehört. Jede der Parteien möge ihre Gründe vorbringen, wodurch sie meint, ein Anrecht am Kühberg zu haben.“
Lange stritten nun die Bürger gegen die Bauern und die Bauern gegen die Bürger.
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