Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
Es wurde schon seit seiner Kindheit von Schwestern hinter stillen Mauern erzogen, und das Leben außerhalb des Klosters mit seinen Freuden und Leiden war dem Mädchen unbekannt. Diesem Mädchen übergab die Oberin das Amt der Pförtnerin, das es gewissenhaft ausführte.
Das erhöhte natürlich den Reiz für den Teufel, sich diese reine Seele zu schnappen; freilich musste das Mädchen erst auf den Weg der Sünde geführt werden, und darin wollte sich der Teufel mal wieder erproben.
Als die junge Frau an einem Abend, nach einem arbeitsreichen und anstrengenden Tag, ein von ihr sehr verehrtes Gnadenbild der Muttergottes in einer benachbarten Kapelle zu besuchen vergessen hatte, da drang der Teufel in ihren Traum ein und verführte sie zu einem erotischen Abenteuer. Dabei sagte er sehr überzeugend zu ihr, dass auch außerhalb der Klostermauern tugendhafte Menschen lebten, die die Welt Gottes auf eine heitere Art und Weise lobten und preisten.
Nachdem der Teufel auch in den folgenden Nächten sein Werk fortsetzte, war es um die Reinheit ihrer Seele geschehen. So erwachte die junge Nonne in einer Nacht aus ihrem unruhigen Schlaf, zog sich an und ging zur Pforte, deren Schlüsselgewalt sie innehatte. Sie sperrte das Tor auf und legte dann die Schlüssel vor das Gnadenbild der Muttergottes. Mit den Worten „Du himmlische Königin! Deine unwürdige Dienerin hat sich der Welt zugewendet, nimm also du die Schlüssel und wache über dein Haus“, stürzte sie zur Klosterpforte und in die weite Welt hinaus.
Nach sieben Jahren im weltlichen Leben, in denen sie viele neue Freuden und Leiden kennengelernt hatte, waren es betrogene Liebe und marternder Undank, die sie am meisten quälten. Mit großer Sehnsucht dachte sie an ihr altes, friedliches Leben hinter den Klostermauern mit ihrem so liebgewonnenen Gnadenbild. Ihr kam der Gedanke, einfach wieder ins Kloster zurückzukehren und um Verzeihung und neuerliche Aufnahme zu bitten.
Sie zog ein einfaches, demütiges Gewand an, nahm einen Pilgerstab und machte sich mit nackten Füßen auf den Weg. Viele Meilen musste sie zurücklegen und erreichte schließlich halb verhungert und verdurstet die Stufen der Klosterpforte. Mit zitternder Hand zog sie die Hausglocke und traute ihren Augen nicht, als die himmlische Mutter mit dem Jesuskind im Arm ihr die Tür öffnete. Die Reumütige fiel auf die Knie, doch die Heilige Maria half ihr auf und übergab ihr die Pfortenschlüssel wieder, die sie vor sieben Jahren am Fuße des Gnadenbildes niedergelegt hatte. Dann ging die Gottesmutter schweigend wieder in die Kapelle, wo sie ihren angestammten Platz hatte. Am nächsten Tag fühlte sich die Zurückgekehrte sehr schwach und krank; sie ließ die Oberin und alle Schwestern zu sich kommen und bekannte öffentlich ihr Vergehen. Ihre Mitschwestern staunten über ihre Worte sehr, denn niemand hatte in den sieben Jahren ihre Abwesenheit bemerkt, sondern sie wurde immer pflichtbewusst an der Pforte gesehen – es war die Gottesmutter, die sie die ganze Zeit über in ihrem Amt vertreten und die Pforte gehütet hatte.
Der bekennenden Nonne wurde verziehen und diese fiel daraufhin in einen tiefen, ruhigen Schlaf, aus dem sie nicht mehr erwachte. Die Vorsteherin meldete das Wunder nach Rom und der Heilige Vater gab zur Antwort, dass das Kloster zum Andenken daran „Zur Himmelspförtnerin“ genannt werden sollte.
Der Zahnwehherrgott
Am berühmten Stephansdom in Wien befand sich lange Zeit an der Außenseite des Mittelchores die Halbfigur eines „Schmerzenmannes“, das ist die Darstellung von Jesus Christus mit Dornenkrone, Geißelspuren und den Wundmalen; die Seitenwunde ist durch die vor der Brust verschränkten Arme nur schwer zu erkennen. Dieses Christusbild, welches ein Bild des Mitleidens ist, wird ganz besonders in Wien verehrt, und einige fromme Frauen hatten es dem Christus zur Ehre einmal mit einem Blumenkranz geschmückt. Damit der Wind, der ständig um den Stephansdom zieht, keinen Schaden anrichten konnte, banden sie den Kranz wohlweislich an. Die Frauen nahmen zwei Enden der farbigen Bänder und knüpften sie unter dem Kinn vom Christus zusammen, sodass der Kranz auf seinem Kopf nicht verrutschen konnte.
Spätabends kamen dann einige angeheiterte Burschen auf ihrem Heimweg an dem geschmückten Christusbild vorbei, und der Erste von ihnen rief laut lachend:
„Schaut’s, unser Herrgott hat Zahnweh!“
„Ja“, erwiderte der Nächste lachend, „wen wundert’s, wenn er hier im
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