Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
passiert war.
„Ja, heute ist ja Sonnwendtag“, fiel dem Moar, also dem Großknecht, ein, „da öffnet sich das blaue Türl alle hundert Jahre und der Schatz zeigt sich einem braven Mann.“
Der Schatz auf der Reichenspitze
Inmitten der großartigen Gletscherwelt der Zillertaler Ferner und der Hohen Tauern, an der Grenze zwischen Tirol und Salzburg, ragt der gewaltige Eisdom der Reichenspitze in die Luft, und weithin schimmern seine ausgedehnten Schneefelder, die sich hoch über grauen Felsstürzen ausbreiten.
Von alters her weiß man, dass sich knapp unter dem Gipfel mehrere Höhlen befinden, in deren Tiefen kostbare Schätze ruhen. Jeder, der den Mut und die Entschlossenheit besitzt, in diese Höhlen vorzudringen, kann dort Edelsteine und kostbare Metalle finden, soviel er nur tragen kann. Die Schätze der Reichenspitze werden von Schatzhütern bewacht, den sogenannten Reichenspitzlern. Diese machen mit den Schatzjägern einen Handel, dass diese sich so viel von dem Schatz nehmen dürfen wie sie wollen und können, doch nach ihrem Tod müssen sie einen der Schatzhüter ablösen und selber zu einem Reichenspitzler werden. Bei den Einheimischen ist dieser Handel mit dem Reichtum zu Lebzeiten und dem Abarbeiten im Tod natürlich bekannt und wird auch Kalte Pein genannt, da die Schatzhüter entsetzliche Qualen der Kälte leiden müssen. Stirbt nun einer, der diesen Handel eingegangen ist, so muss er den Platz jenes Schatzhüters einnehmen, dessen Seele am längsten dort gedient hat und der nun endlich seinen Frieden im Tod finden kann.
In Piesendorf im Pinzgau weiß man von einem Bauern zu erzählen, der sich Schätze von der Reichenspitze geholt hatte. Das war vor etlichen Jahren gewesen und die Brüder des reichen Bauern standen klagend am Bett und beteten für den Kranken, dessen Rettung aber längst aufgegeben war. Als der nun die Augen für immer schloss, sahen die Brüder, die glaubten, dass die Seele des Verstorbenen bereits auf dem Weg in den Himmel sei, vor dem Stubenfenster einen Mann vorübergehen. Dieser Mann glich ihrem verstorbenen Bruder aufs Haar, doch war er gekleidet, als ob tiefster Winter wäre. Er trug ein dickes Jägergewand, hatte einen langen Bergstock in der Hand und sah überaus traurig drein.
„Gnade Gott seiner armen Seele!“, riefen die Brüder erschrocken, als sie erkannten, dass es sich um ihren Bruder handelte.
„Unser Bruder hat sein Geld gewiss aus einer Höhle von der Reichenspitze geholt und jetzt muss er dort hingehen, um die Schätze zu hüten und muss die kalte Pein leiden!“
Den Gedanken konnten sie aber nicht ertragen, und so machten sie sich auf den Weg, ihren Bruder zu erlösen. Als sie auf der Mitte des Bergkogels angelangt waren, fiel ganz plötzlich Nebel ein und es wurde so finster um sie herum, dass sie kaum einen Schritt vor ihren Füßen sehen konnten. Doch sie ließen sich nicht von ihrem Vorsatz, ihren Bruder zu erlösen, abbringen und gingen langsam, aber stetig weiter. Nun begann auch noch ein furchtbares Dröhnen und Donnern, das umso ärger wurde, je höher sie stiegen. Zitternd gingen sie immer weiter, bis sie endlich auf den höchsten Punkt des Gipfels kamen. Und wie von Zauberhand waren mit einem Mal Nebel und Donner verschwunden und der blaue Himmel leuchtete über ihnen. Wenig später schien sich ein eisgrauer Felsblock zu bewegen und ihr Bruder stand vor ihnen, der sie umarmte und sich tausendmal bei ihnen bedankte:
„Jetzt bin ich erlöst. Wäret ihr nicht bis hierher auf den höchsten Spitz gekommen, so hätte ich hier büßen müssen, Gott weiß wie lange. Nur durch euch muss ich nicht die kalte Pein leiden. Ich kann nicht mehr als euch danken und euch die folgenden Worte ans Herz legen: Lebet glücklich und bescheiden.“
Nach diesen Worten war er verschwunden. Die beiden Brüder aber kehrten fröhlich nach Hause zurück und versuchten so zu leben, wie es ihnen ihr Bruder empfohlen hatte.
Das Loferer Fräulein
An der Grenze zwischen Tirol und Salzburg, in den Loferer Steinbergen, befinden sich mehrere Höhlen. In einer von ihnen soll früher ein Fräulein gewohnt haben. Ob das nun die größte dieser Höhlen war, auch Loferer Schacht genannt, das weiß man heute leider nicht mehr.
In seiner Höhle verwahrte das Fräulein reiche Schätze und wartete darauf erlöst zu werden. Aber nur wenige gelangten in seine Nähe, denn für gewöhnlich erblickten die Eintretenden einen unheimlichen See oder Fluss, in dem sie Angst hatten ertrinken
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