Die Schokoladendiät
und ernten leicht verunsicherten Applaus von unseren Gästen. Doch plötzlich erblicke ich aus dem Augenwinkel etwas, was mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.
«O nein», stöhne ich auf. Clive hebt den Kopf und folgt meinem Blick. Ein leiser Schreckenslaut entfährt ihm. Und auch alle Gäste um uns herum schnappen verblüfft nach Luft.
Mit einem rosa Satin-Mieder, fließendem Rock und mörderisch hohen Absätzen bekleidet, stöckelt der eins neunzig große Transvestit Raunchy Roberta in den Saal. Ich erkenne in ihm/ihr den Showmaster aus dem Mistress Jay’s Nightclub, auch wenn die Perücke heute eine andere Farbe hat.
Raunchy Roberta stolziert auf Tristan zu, schlingt die Arme um ihn und gibt ihm einen langen, sehr feuchten Kuss.
«Ähh!» Ich wende mich zu Clive um, dessen Gesicht sich verfinstert hat. Drohend hält er das Messer umklammert, und ich nehme es ihm behutsam aus der Hand.
«Entschuldigung, Lucy», sagt Clive knapp und marschiert auf Tristan und Roberta zu, die sich gerade von ihrer Umarmung erholen.
«Was macht die denn hier?», zischt Clive Tristan an. «Oder der?» Er faucht so laut, dass jeder es hören kann.
«Ich wollte nicht, dass du es auf diese Weise erfährst», erklärt Tristan dramatisch.
«Glaubst du, ich hätte mir nicht schon so etwas in der Art gedacht?», möchte Clive wissen. «Dieses ständige heimliche Verschwinden – denkst du vielleicht, ich bin blöd?»
«Das könnte man so sagen», fährt Raunchy Roberta mit bemerkenswert rauer Stimme dazwischen. «Und jetzt zieh Leine.»
«Da musst du mich schon zwingen», antwortet Clive. Unklugerweise, wie sich herausstellen soll, denn Raunchy Roberta ist auf seiner Rechten gar nicht so schlecht.
Er versetzt Clive einen Kinnhaken, und mein Freund taumelt rückwärts genau auf den Kuchen zu. Der Tisch, auf dem dieser steht, wackelt beunruhigend. Die oberste Tortenlage hält der Erschütterung nicht stand, gerät anmutig ins Kippen und gleitet auf die darunterliegende Schicht, die sich daraufhin ebenfalls in Bewegung setzt. Jacob und ich springen beherzt herbei, um den Kuchen zu retten, doch vergebens. In einer Kaskade aus glasierten Kumquats, Schokoladenblättern und federleichten Biskuitstückchen geht die Torte zu Boden.
Ich nasche ein Stückchen Schokoladenglasur vom Tischtuch. «Mhm. Sehr delikat», sage ich zu Jacob und lecke mir die Finger.
Tristan stürzt herbei und eilt Clive zur Hilfe. «Bist du verletzt?»
«Natürlich bin ich verletzt, verdammt nochmal», schreitClive. «So verletzt wie noch nie zuvor. Aber damit ist jetzt Schluss. Du kannst dich verziehen. Raus aus meinem Schokoladensalon. Raus aus meinem Leben. Verschwinde und nimm dieses Brutalo-Mannweib mit.» Damit bückt er sich, hebt die oberste Lage meiner Hochzeitstorte auf und klatscht sie Tristan ins Gesicht. Wieder schnappt die versammelte Gästeschar entsetzt nach Luft.
Raunchy Roberta, der sich erneut auf Clive stürzen will, rutscht auf der Schokoladenkuchensauerei aus, knickt in seinen gefährlich hohen Stilettos um und stürzt kopfüber zu Boden. Mit einem dröhnenden Rumms landet der Transvestit der Extraklasse schließlich auf dem Rücken, das rosa Mieder schief, die falschen Titten entblößt und die Perücke verrutscht. Es ist kein schöner Anblick. Ich kann in diesem Moment wirklich nicht begreifen, was Tristan eigentlich an ihm findet. Dann bricht Clive in Tränen aus.
Jacob und ich sehen uns wieder an. «Vielleicht war es wirklich keine so tolle Idee, die Hochzeitstorte anzuschneiden», gebe ich zu.
77
Nach dem denkwürdigen Kuchenanschneiden suchten sich Chantal und Ted ein ruhiges Eckchen abseits des Getümmels. Chantal hätte jetzt gerne Zuflucht zu einem Glas Champagner oder einem anderen alkoholischen Getränk genommen. Es gab Gespräche, denen sollte man sich nicht allein mit Mineralwasser stellen müssen.
Sie saßen jetzt in einem kleinen ruhigen Salon auf einem Sofa mit hohen Lehnen. Endlich waren sie allein, und die Musik aus der Disco wetteiferte nur noch im Hintergrund mit dem Klaviergeklimper aus den Lautsprechern des Hotels. Ted trank seinen Champagner und wich ihrem Blick aus. «Und wie lange weißt du schon, dass du schwanger bist?»
«Einen Monat oder etwas länger», sagte Chantal.
«Und du hast es mir nicht gesagt?»
«Ich hab’s versucht», antwortete sie, «aber ich habe einfach nicht den rechten Augenblick gefunden. Und du bist mir ja auch ziemlich aus dem Weg gegangen.»
Ted ließ den Kopf hängen.
«Wie
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