Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
Schönheitsideals oder der Herrschaft des Kommerzes. Jede Form von Eleganz werde als Sünde gewertet.
Das stimmt gewiss, wenngleich man sich auf dem Weg der Besserung befindet, doch die latente Unbeholfenheit in Angelegenheiten
der Kleidung macht Mode für den Verstellungskünstler so interessant. Denn er vermag, anders als die Masse der Herrensandalen-
und Frotteesockenträger, durch Kleidung geschickt auf sich aufmerksam zu machen.
Es ist ganz und gar unmöglich, hier nun genaue Anweisungen zu geben, welche Garderobe angeschafft werden soll. |174| Zu undogmatisch ist das derzeitige Schönheitsideal. Neben enganliegenden Kleidern, um die makellose Körperform hervorzuheben,
findet sich Gewandartiges; Sporttextilien auf Gala-Abenden sind genauso wenig ein Tabu wie ein Maßanzug auf einer gewöhnlichen
Party. Und doch erkennt das geübte Auge sogleich, ob ein ironisches Zitat, etwa der Herrenschnauz, bewusst eingesetzt ist
oder der Träger nur zufällig seinen Bart in eine Zeit hinübergerettet hat, die diesen halbwegs wieder toleriert. Die Mode
scheint ihr Formenreservoir jedenfalls ausgeschöpft zu haben, und es kommt nur noch darauf an, das gerade richtige Revival
eines bestimmten Stils nicht zu verpassen, um sich angemessen zu kleiden.
In jeder bewussten Kleiderwahl steckt Inszenierungslust, ihr ist die Verführung eingeschrieben, sie hebt hervor, was den Menschen
ausmacht, seine, wie es der Philosoph Helmuth Plessner genannt hat, »zum Antasten verlockende Unantastbarkeit«, seine Lust,
andere zu blenden.
Das Wissen um angemessene Kleidung ist immer auch Machtdemonstration. Sich geschickt kleiden bedeutet, die Codes einer Gesellschaft
zu kennen, in die es einen hineindrängt; es heißt, Voraussetzungen schaffen, dass man nicht sogleich die Tür gewiesen bekommt.
Es ist dabei durchaus vorteilhaft, die Codes einer bestimmten Versammlung zu brechen. Als etwa Stephan Karst für den Vorentwurf
einer gewagten Häuserzeile mit einem üppig dotierten, von einer Bank ausgelobten Preis geehrt wurde, war er betont underdressed.
Während ein bekannter Architekturprofessor mit |175| schütterem Haar, der die Laudatio hielt, in einem Maßanzug und mit einer Fliege auf die Bühne trat, nahm Stephan Karst den
Preis zwar gleichfalls in einem Anzug entgegen, trug darunter aber ein saloppes T-Shirt mit einem beinahe schon »frech« zu
nennenden Aufdruck, das ihm eine Unbeschwertheit verlieh, die vor allem den älteren Damen im Publikum, die sich der Jugend
seit je wohlwollend anschmiegen, sehr zusagte.
Umgekehrt vorteilhaft wäre es womöglich, er wäre (was er nie ausprobiert hat) einmal auf einer gewöhnlichen Party in der Kleidung
des Architekturprofessors erschienen (gut, womöglich ohne Fliege). Nur dann, wenn man die Codes mutig überschreitet, fällt
man überhaupt durch Kleidung vorteilhaft auf. Erst dann wird einem Eigenwilligkeit und Autonomie zuerkannt und eine erotische
Aura.
Wir werden an späterer Stelle noch von einem Kellner berichten, der in glühender Liebe einer Frau verfallen war, die kurzes,
schwarzes Haar trug und ihn mit ihrer erschütternden Schönheit blendete. Es kann gut sein, dass die etwas extravagante, weiße,
tunika-artige Bluse mit einem großen Kragen, die sie trug (die Ärmelsäume waren mit roten Perlen handbestickt), den vorteilhaften
Eindruck verstärkte, den sie hinterließ, denn sie stach damit gegenüber den anderen Frauen im Café, die (vielleicht auch wegen
ihrer Mutterschaft) eher sportlich (Jeans, T-Shirts), also alltäglich gekleidet waren und keineswegs elegant, heraus.
Nur sollte man es freilich mit dem Herausstechen niemals übertreiben. Die Grenze zu überschreiten, jenseits der man |176| als Kuriosum, als lächerliche Person erscheint, die beschämt begafft wird (Federhut, Rokokokleid, auch alles, was einfach
nur billig aussieht), ist wenig erstrebenswert.
Immer und überall verachtenswert aber ist es, Bequemlichkeit, Wohlbefinden und Natürlichkeit in den Rang eines Auswahlkriteriums
in Kleiderdingen zu erheben. Ohne eine gewisse Dressur kommt man wenig zur Geltung. Denn immer ist der Körper, in dem wir
stecken, bis zu einem gewissen Grad auch unser beständiger Feind. Ihn unter Kontrolle zu bringen, gerade mit Textilien und
Schnittmustern, hebt unsere Sichtbarkeit hervor, bis hin zu größtem Ansehen.
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|177| 29 SICH SELBST BELÜGEN
J edem Verstellungskünstler ist der Widerspruch vertraut, in dem er
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