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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Schopenhauers Anhänger dessen Testamentsvollstrecker
Wilhelm Gwinner nach dem fehlenden Dokument. Gwinner teilte ihnen mit, »Über mich« existiere nicht mehr, da Schopenhauer ihn angewiesen habe, es sofort nach seinem Tod zu verbrennen.
    Kurze Zeit später verfasste derselbe Wilhelm Gwinner die erste Biografie über Arthur Schopenhauer, in der Schopenhauers Evangelisten Teile von »Über mich« entweder als direkte Zitate oder als Paraphrasen wiederzuerkennen behaupteten. Hatte Gwinner das Manuskript kopiert, ehe er es verbrannte? Oder es gar nicht verbrannt und stattdessen für seine Biografie geplündert? Es kam zu Jahrzehnte langen Kontroversen, und schließlich rekonstruierte ein anderer Schopenhauer-Experte das Dokument aus Gwinners Buch und weiteren Schriften Schopenhauers und stellte das siebenundvierzigseitige »Εις εαυτoν« an den Schluss des vierbändigen Handschriftlichen Nachlasses. »Gespräche und Selbstgespräche« bietet ein eigenartiges Leseerlebnis, weil auf jeden Abschnitt eine Beschreibung seines byzantinischen Ursprungs folgt, die oft länger ist als der eigentliche Text.
    Woran lag es, dass Arthur niemals eine Stellung hatte? Die Geschichte über Arthurs Kamikaze-Strategie bei der Besetzung einer Position an der Universität ist eine weitere jener launigen Anekdoten, die in jedem Bericht über Schopenhauers Leben auftauchen. 1820, im Alter von zweiunddreißig, wurde ihm sein erster Lehrauftrag angeboten, eine vorübergehende, sehr schlecht bezahlte Anstellung als Privatdozent für Philosophie an der Universität Berlin. Und dort fiel ihm nichts Besseres ein, als seine Vorlesung (mit dem Titel »Über die gesamte Philosophie oder die Lehre vom Wesen der Welt und vom menschlichen Geist«) vorsätzlich auf genau dieselbe Stunde zu legen, in der Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorsitzender des Fachbereichs und bekanntester Philosoph seiner Zeit, sein Hauptkolleg hielt.
    In Hegels Vorlesung drängten sich zweihundert eifrige Studenten, während nur fünf kamen, um zu hören, wie Schopenhauer
sich als Rächer schilderte, der beabsichtigte, die Philosophie nach Kant von ihren leeren Paradoxa und der unreinen und unklaren Sprache der damaligen Zeit zu befreien. Es war kein Geheimnis, dass Schopenhauers Zielscheibe Hegel und dessen Vorgänger Fichte waren (man erinnere sich: der Philosoph, der sein Leben als Gänsehirt begonnen und ganz Europa zu Fuß durchquert hatte, um Kant kennen zu lernen). Natürlich nahm dies weder Hegel noch die anderen Fakultätsmitglieder für den jungen Schopenhauer ein, und als gar keine Studenten mehr in seiner Vorlesung erschienen, war es mit seiner kurzen und verwegenen akademischen Karriere vorbei; er hielt nie wieder einen öffentlichen Vortrag.
    In seinen dreißig Jahren in Frankfurt folgte Schopenhauer bis zu seinem Tod im Jahr 1860 einem regelmäßigen Zeitplan, der fast so präzise war wie der Kants. Sein Tag fing mit drei Stunden des Schreibens an, danach spielte er eine Stunde lang, manchmal zwei, Flöte. Er schwamm täglich im kalten Main, meist auch im tiefsten Winter. Mittags aß er stets im selben Lokal, dem Englischen Hof, gekleidet in Frack und weiße Fliege, eine Tracht, die in seiner Jugend hochmodern gewesen war, in Frankfurt Mitte des 19. Jahrhunderts dagegen auffallend veraltet wirkte. In dieses Lokal kamen auch die Neugierigen, die den seltsamen verdrossenen Philosophen kennen lernen wollten.
    Die Anekdoten über Schopenhauer im Englischen Hof sind zahlreich: über seinen ungeheuren Appetit, mit dem er häufig für zwei aß (wenn jemand das kommentierte, erwiderte er, er dächte auch für zwei), darüber, dass er für zwei Mittagessen zahlte, damit niemand neben ihm saß, über seine schroffe, aber durchdringende Stimme, seine häufigen Wutausbrüche, seine schwarze Liste der Personen, mit denen er sich weigerte zu sprechen, seine Tendenz, unangemessen schockierende Themen zu erörtern – so pries er zum Beispiel die neue wissenschaftliche Entdeckung, die es ihm erlaubte, Geschlechtskrankheiten zu vermeiden, indem er seinen Penis nach dem
Geschlechtsverkehr in mit Wasser verdünntes Bleichpulver tauchte.
    Obgleich er ernsthafte Gespräche genoss, fand er selten Tischgefährten, die er seiner Aufmerksamkeit für würdig erachtete. Eine Zeit lang legte er regelmäßig, wenn er sich setzte, ein Goldstück auf den Tisch und nahm es bei seinem Weggang wieder an sich. Einer der Offiziere, die gewöhnlich am selben Tisch aßen, fragte ihn einmal

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