Die Schopenhauer-Kur
Heidegger nannte es den Sturz in die Alltäglichkeit des Lebens oder das Versinken in ihr. Ich weiß ja, dass Sie Heidegger nicht leiden können, Pam, aber ich finde, seine fehlgeleitete Politik darf uns nicht seiner philosophischen Einsichten berauben. Um also Heidegger zu paraphrasieren: Der Sturz in die Alltäglichkeit resultiert darin, dass man unfrei wird – wie die Schafe.«
»Wie Pam«, fuhr Philip fort, »glaube auch ich, dass die Parabel uns vor Bindungen warnt und uns drängt, auf das Wunder des Seins eingestimmt zu bleiben – uns nicht darum zu kümmern, wie die Dinge sind, sondern darüber zu staunen, dass die Dinge sind – dass sie überhaupt existieren.«
»Ich glaube, jetzt weiß ich, was Sie meinen«, sagte Bonnie,
»aber es ist kalt, abstrakt. Was soll daran tröstlich sein? Für Julius, für irgendjemanden?«
»Für mich ist der Gedanke tröstlich, dass mein Tod meinem Leben Gestalt gibt.« Philip sprach mit untypischer Inbrunst. »Für mich ist die Vorstellung tröstlich, nicht zuzulassen, dass mein Innerstes von Trivialitäten verschlungen wird, von unbedeutenden Erfolgen oder Misserfolgen, von dem, was ich besitze, von Fragen der Beliebtheit – wer mag mich, wer mag mich nicht. Für mich ist der Zustand tröstlich, frei zu bleiben für die Wahrnehmung des Wunders der Existenz.«
»Ihre Stimme klingt energiegeladen«, sagte Stuart, »trotzdem finde ich auch, dass sich das stählern und blutleer anhört. Es ist ein kalter Trost. Er lässt mich erschauern.«
Die Gruppenmitglieder rätselten. Sie spürten, dass Philip etwas Wertvolles zu bieten hatte, waren jedoch wie üblich verwirrt von seinem bizarren Auftreten.
Nach kurzem Schweigen fragte Tony Julius: »Wirkt das bei Ihnen? Ich meine das, was er Ihnen anbietet.«
»Bei mir wirkt es nicht, Tony. Dennoch, wie ich schon sagte«, er drehte sich zu Philip um, »Sie bemühen sich, etwas an mich weiterzugeben, was bei Ihnen wirkt. Ich bin mir bewusst, dass Sie mir damit zum zweiten Mal etwas anbieten, für das ich keine Verwendung habe, und das muss frustrierend für Sie sein.«
Philip nickte, schwieg jedoch.
»Zum zweiten Mal? Ich erinnere mich an kein anderes Mal«, sagte Pam. »War das, als ich verreist war?«
Mehrere Köpfe wurden verneinend geschüttelt. Niemand erinnerte sich an ein erstes Mal, und Pam fragte Julius: »Gibt es hier Lücken, die gefüllt werden müssten?«
»Das ist eine alte Geschichte zwischen Philip und mir«, erwiderte Julius. »Viel von der heutigen Verwirrung würde sich durch das Erzählen dieser Geschichte auflösen. Aber das liegt ganz bei Ihnen, Philip. Wann immer Sie bereit sind.«
»Ich stelle mich gern der Diskussion«, sagte Philip. »Sie haben carte blanche.«
»Nein, was ich meine, ist, dass nicht ich dafür zuständig bin. Um Sie zu zitieren: Es wäre eine lohnendere Erfahrung, wenn Sie sie selbst erzählen würden. Es ist Ihre Aufgabe und Ihre Verantwortung.«
Philip legte den Kopf zurück, schloss die Augen und begann im selben Tonfall und in derselben Manier, als würde er einen auswendig gelernten Text rezitieren: »Vor fünfundzwanzig Jahren konsultierte ich Julius wegen etwas, das heute als Sexsucht bezeichnet wird. Ich war räuberisch, ich war getrieben, ich war unersättlich, ich dachte an kaum etwas anderes. Mein ganzes Sein galt der Jagd nach Frauen – neuen Frauen, immer wieder, denn wenn ich mit einer Frau ins Bett gegangen war, verlor ich schnell das Interesse an ihr. Es war, als ob das Epizentrum meiner Existenz der Moment war, in dem ich in der Frau ejakulierte. Danach hatte ich kurz Ruhe von meinem Zwang, aber schon bald – manchmal nur Stunden später – verspürte ich den Drang, erneut auf Raub auszugehen. Gelegentlich hatte ich zwei oder drei Frauen an einem Tag. Ich war verzweifelt. Ich wollte heraus aus diesem Sumpf, an andere Dinge denken, den großen Geistern der Vergangenheit nahe kommen. Ich war damals Chemiker, sehnte mich aber nach echter Weisheit. Ich suchte Hilfe, die beste und teuerste, die es gab, und traf mich wöchentlich ein-, zweimal mit Julius, drei Jahre lang, ohne Erfolg.«
Philip hielt inne. In der Gruppe entstand Bewegung. Julius fragte: »Wie geht es Ihnen, Philip? Können Sie weitermachen, oder reicht es für heute?«
»Mir geht es gut«, erwiderte Philip.
»Wenn Sie die Augen geschlossen haben, ist es schwer, Sie zu deuten«, sagte Bonnie. »Machen Sie sie zu, weil Sie Angst vor Missbilligung haben?«
»Nein, ich mache sie zu, um in mich
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