Die schottische Braut
auch antun würde.« Mit leerem Blick seufzte Simon. »Wie zu erwarten nahm Harold die Herausforderung an und tat alles, was er sich ersinnen konnte, um Sin dazu zu bringen, sich vor ihm in Furcht zu ducken.«
Die Brust wurde ihr eng. Sie schaute zu Jamie, der gerade die Tür aufstieß und in ihr Zimmer hüpfte, und versuchte ihn sich so vorzustellen. Alle Erfahrungen, die Jamie in seinem Leben bislang gemacht hatte, waren im Schutz einer liebenden Familie geschehen. Sie wollte sich nicht ausmalen, was nötig wäre, um aus ihm ein Kind zu machen, wie Simon es eben beschrieben hatte. Wie sehr hatte Sin gelitten? Und warum? Warum würde irgendjemand einem Kind so etwas antun?
Jedermann verdiente es, geliebt zu werden. Das war es, was ihre Mutter, Gott sei ihrer Seele gnädig, sie gelehrt hatte.
»Warum war er in Ketten?«, wollte sie wissen, als sie hinter Jamie das Zimmer betraten.
Laut mit sich selbst redend, kniete sich ihr Bruder vor seine Truhe und holte das wenige Spielzeug hervor, das Aelfa für ihn aufgetrieben hatte. Er stellte seine hölzernen Ritter in Reih und Glied auf und baute aus seinen Schuhen ein Katapult für sie, während Simon mit Callie zum Fenster ging.
»Sin war eine politische Geisel, geschickt als Garant dafür, dass sein Vater sich nicht länger gegen König Stephan auflehnen würde.«
Callie erinnerte sich wieder an die Geschichte von William, dem Marschall, die ihr einer von König Henrys Höflingen erzählt hatte, nachdem sie William an ihrem ersten Tag bei Hof kennen gelernt hatte. Wie Sin war William einst in König Stephans Obhut übergeben worden als Garantie für zukünftiges Wohlverhalten seines Vaters. Als der jedoch wieder anfing, Krieg gegen den König zu führen, hatte Stephan den Jungen beinahe umbringen lassen.
Am allerwenigsten konnte sie die grausamen Worte vergessen, die John Fitz Gilbert Stephan zugerufen hatte, als der König ihn an seinen Sohn William erinnerte, der für die Taten seines Vaters bestraft werden würde:
Geht nur und tötet ihn. Ich habe einen Hammer und einen Amboss, mit dem ich mir noch stärkere Söhne schmieden kann.
Es war offenkundig, dass Sins Vater ähnlicher Ansicht gewesen sein musste. Wie schrecklich für Sin. Ihr eigener Vater hätte jeden umgebracht, der seine Kinder auch nur schief anschaute.
Simon fing einen der Spielzeugsoldaten auf, der von dem behelfsmäßigen Katapult geschleudert durch die Luft flog, und reichte ihn'Jamie zurück, der laut aufjuchzte und dann weiterspielte.
»Sagt mir, Simon, gibt es eine Dame, die Lord Sin besonders schätzt?«
Simon schüttelte den Kopf und kehrte an ihre Seite zurück. »Er schätzt vor allem seine eigene Gesellschaft. Er hat vor langem gelernt, niemandem zu trauen. Noch nicht einmal einer Frau.«
»Was bedeutet?«
»Er hat viele Feinde bei Hofe. Darunter sind nicht wenige, die ihn liebend gerne umbringen würden, wenn sich die Gelegenheit böte. Frauen genauso wie Männer. «
Callie konnte sich ein Leben nur schwer vorstellen, in dem man niemandem vertrauen konnte. »Und er hat keine Freunde?«
»Er hat mich und König Henry.«
»Nein, Simon. Er hat nur Euch.«
Simon runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht.«
»Wenn Henry wahrhaft sein Freund wäre, würde er nicht von Sin verlangen, in Feindesland zu ziehen, wo er noch viel weniger willkommen ist als hier.«
Simon musterte sie anerkennend. »Wahr genug, Mylady. «
Dann verabschiedete er sich und nahm Jamie mit sich, damit der Junge sich draußen an der frischen Luft etwas austoben konnte, bevor er die Einrichtung des Zimmers ganz zerstörte.
Callie setzte sich an den schmalen Tisch und versuchte zu überlegen, wie sie weiter vorgehen sollte. Ein Teil von ihr wusste, es war die schlimmste Dummheit, die sie begehen konnte, einen Engländer zu ihrem Clan zu bringen, und doch war ein anderer Teil von ihr fasziniert von Lord Sin und der Möglichkeit, dass er eine Art Brücke zwischen ihren Leuten und den Engländern werden könnte.
Sie war weit über das Heiratsalter hinaus. Vor vielen Jahren war sie einem Mann versprochen gewesen, der aber wenige Monate vor ihrer Heirat erkrankt und gestorben war. Zwei Jahre hatte sie um ihn getrauert. Gerade als die Zeitspanne zu Ende war, war ihr Vater gestorben. Seit dem Moment war sie stets zu beschäftigt mit den Problemen und Anliegen ihres Clans gewesen, um auch nur an einen Gemahl zu denken.
Wie sie sich wünschte, Morna wäre hier. Jamies Mutter war gut darin, in einer schwierigen
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