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Die schottische Braut

Die schottische Braut

Titel: Die schottische Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Hale
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versuchen, sich auszuruhen. Doch als sie es betrachtete, dachte sie an all die Nächte, die sie darin mit Roderick Douglas verbringen müsste.
    Jenny spürte immer noch undeutlich den Schmerz im Gesicht, an den Armen und ihren Brüsten, wo er sie grob angefasst hatte. Wenn sie sich an das lüsterne Funkeln in seinen Augen und die Abschiedsworte erinnerte, drohte ihr das Herz vor Angst zu zerspringen.
    Sie ging zu ihrem Kleiderschrank und holte die Ausgabe von “Ivanhoe” hervor, das Abschiedsgeschenk von Harris. Sie hoffte, das Buch würde sie von unwillkommenen Gedanken ablenken und in den Schlaf lullen. Sie setzte sich in den Schaukelstuhl und schlug das Buch nicht auf der ersten, sondern letzten Seite auf.
    Leise versuchte sie, Scotts Prosa auf ihre eigene Situation zu übertragen. “Sie lebte lange und glücklich mit Roderick, denn sie waren sich mit der reinsten Liebe zugetan, und die Erinnerung an die Hindernisse, mit denen sie zu kämpfen hatte, erhöhte noch ihre Neigung. Allein es wäre unrecht, wenn man streng untersuchen wollte, ob ihre häufig wiederkehrenden Gedanken an Harris Chisholms Mut und Hochherzigkeit der schöne Douglas gebilligt hätte.”
    Die letzten Worte kamen als heiseres Flüstern über ihre Lippen. Erst als die ersten Tränen auf die offene Seite fielen, bemerkte Jenny, dass sie weinte.
    Die langen Schatten des Oktoberabends waren genauso ungewöhnlich wie die Hitze für diese Jahreszeit. Mit einem letzten Paddelstoß legte Levis Kanu im Hafen von Richibucto an. Eine kleine Schar neugieriger Dorfbewohner hatte sich zur Begrüßung versammelt.
    Robert Jardine löste sich aus der Menge. “Sind Sie das wirklich, Chisholm? Haben Sie es bis Chatham geschafft? Wir haben das Schlimmste befürchtet, als wir keine Nachricht von Ihnen bekamen. Alle Ihre Sachen sind in meinem Haus gut verwahrt …”
    Harris schnitt ihm das Wort ab. Nichts von alledem zählte, nur die eine Frage war wichtig, die ihn den ganzen Tag lang gequält hatte. “Robert, bei allen Heiligen, können Sie mir sagen, was heute für ein Tag ist?”
    “Welcher Tag? Es ist Donnerstag, natürlich. Der sechste Oktober. Warum wollen Sie das wissen?”
    Donnerstag. Der sechste Oktober. Morgen Nachmittag würde Jenny mit Roderick Douglas vermählt, und Harris war machtlos, es zu verhindern.

20. KAPITEL
    Jenny konnte sich nicht erinnern, wann sie endlich eingeschlafen war. Sie schüttelte den Kopf, um sich von ihrem schrecklichen Albtraum zu befreien … Darin war sie auf den Scheiterhaufen gebunden wie Rebecca in “Ivanhoe”. Der Templer, der eine erschreckende Ähnlichkeit mit Roderick aufwies, hielt die Fackel an die Reisigbündel. Vergeblich suchte Jenny den Horizont nach einem Anzeichen von Sir Wilfred ab, ob dieser zu ihrer Rettung kam. Selbst als der aufsteigende Rauch ihren Blick trübte und die ersten Flammen an ihr emporzüngelten, erschien er nicht.
    Sie erwachte und wurde sich bewusst, dass ein Albtraum an die Stelle eines anderen getreten war. All ihre Erfahrungen mit Roderick Douglas in den vergangenen Wochen hatten sich in ihren Träumen wiedergefunden. Nun glaubte sie Morag McGregor. Der Altar von St. Mary würde heute ihr Scheiterhaufen sein. Und kein Zeichen dafür, dass ein Ritter in gleißender Rüstung hoch zu Ross zu ihrer Errettung erscheinen würde.
    “Mistress?”
    Jenny zuckte zusammen, als sie das zaghafte Pochen an der Tür vernahm.
    “Einen Augenblick, Marie.”
    Sie drückte das Buch kurz an sich, ehe sie es ganz unten in ihrem Kleiderschrank verbarg. So bald wie möglich musste sie sich davon trennen – auch wenn es ihr das Herz brach. Mrs Lyons würde herumschnüffeln, und Jenny fürchtete Rodericks Zorn.
    “Komm herein”, rief sie dem Dienstmädchen zu.
    Marie trat mit einem Zuber dampfenden Wassers ein. “Mrs Lyons befahl mir, Ihnen bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen, Mistress. Möchten Sie, dass ich Ihnen das Haar wasche?”
    Jenny nickte. Einen Moment dachte sie daran, davonzulaufen. Es ist immerhin eine Besonderheit von mir, kam es ihr bitter in den Sinn. Jenny wusste, welchen Preis Morag McGregor dafür hatte bezahlen müssen, ihren Bräutigam zu enttäuschen. Und sie war zu feige, dies zu wagen.
    Ein einziger Gedanke gab ihr Trost. Wenigstens hatte sie das Richtige getan, indem sie sich beharrlich Harris widersetzt hatte. Er verdiente eine bessere Frau als sie. Früher oder später hätte sie ihm großes Leid zugefügt. Glücklicherweise war er ihr entkommen –

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