Die schottische Lady
war nur mehr eine Erinnerung. Sie schloss die Augen und fühlte eine schreckliche Leere in ihrem Herzen. Hatte sie die Liebesnacht nur geträumt?
Sabrina fand keinen Schlaf.
Wie lange hatte sie versucht, die Unpässlichkeit während der Schiffsreise zu überstehen und die offenkundigen Tatsachen zu verdrängen? Sie stand auf, schlüpfte in ihren Morgenmantel und wanderte vor dem schwachen Kaminfeuer umher.
Großer Gott! Sloan!
Viel zu lebhaft erinnerte sie sich an die erste Begegnung in seinem Hotelzimmer ... Sie hatte sich voller Verzweiflung vor ihrem Stiefvater versteckt. Und Sloan hielt sie für das neue Mädchen, aus dem benachbarten Bordell herübergeschickt. Natürlich konnte sie ihm ihre Situation nicht erklären, die immer schwieriger wurde.
Nun, sie war ihrem Stiefvater entronnen. Sie lebte und unter ihrem Herzen wuchs ein neues Leben. »O Gott!« wisperte sie und fröstelte.
Die Nacht war schlimm genug gewesen. Und am Morgen glaubte er immer noch, sie wäre ein Freudenmädchen.
Noch ehe sie vollends erwachte, verführte er sie ein zweites Mal - nach allen Regeln der Kunst. Danach entdeckte sie zu ihrem Entsetzen, dass er nicht nur ein überaus selbstbewusster Halbindianer und Kavallerist war, sondern auch noch der beste Freund ihres Schwagers. Sie würde ihn sehr oft wiedersehen, einen eingefleischten Junggesellen, an die Gesellschaft vieler Frauen gewöhnt.
Wenn er wollte, konnte er sehr charmant sein, aber auch eigensinnig und unbarmherzig. Und zu allem Überfluss schuldete sie ihm ihren Dank. Ohne seine Hilfe wäre sie ihrem mörderischen Stiefvater nicht entkommen. Und womöglich hätte der Schurke auch Skylar getötet.
Zitternd verschränkte sie die Arme vor der Brust und dachte an den Konflikt, der in Sloan Trelawnys Brust tobte. Ein Kavallerist im Dienst der amerikanischen Regierung, gegen die sein Sioux-Blut rebellierte ... Hinter seiner zivilisierten Fassade brannte ein wildes Feuer, so wie in den Herzen aller roten Krieger, die sich gegen den weißen Mann auflehnten.
Sabrina öffnete den Schrank und hoffte, eine Flasche Brandy oder Sherry zu finden. Dann hielt sie inne und erinnerte sich an Edwinas Warnung. Der Alkohol könnte dem Baby schaden. Nur ein kleiner Schluck -sie würde ohnehin einen Bastard zur Welt bringen.
Bei diesem Gedanken wurde ihr übel, und sie eilte auf den Balkon, um die frische Nachtluft einzuatmen. Wie sollte sie diese furchtbare Situation bewältigen?
Wenigstens war sie kein naives Mädchen. Zielstrebig und entschlossen hatte sie Maryland verlassen und die Reise zu ihrer Schwester nach Westen angetreten. Diese innere Kraft hatte sie entwickeln müssen, um sich gegen den skrupellosen Mann zu behaupten, bei dem sie aufgewachsen war.
Nach dem ungesühnten Mord an ihrem leiblichen Vater machte er eine steile politische Karriere. Dank seiner zahlreichen Kontakte konnte er ihrer Spur nach Westen folgen. Um ihm zu entfliehen, landete sie schließlich in Sloans Hotelzimmer.
Am nächsten Morgen haßte sie sich selbst, weil sie ihr Herz nicht belügen konnte. Sie hatte nicht nur ein Opfer für Skylar und ihr eigenes Leben gebracht. Von Sloans magischer Anziehungskraft überwältigt, war sie ins Reich der sinnlichen Liebe entführt worden - wenn er auch geglaubt hatte, er würde eine Hure ausbilden.
Nach der Trennung vergaß er sie vermutlich ebenso schnell wie seinen Frühstückskaffee. Aber zu Sabrina Connors tiefster Bestürzung hatten sie sich wiedergesehen.
Und jetzt? Natürlich würde sie ihn niemals über seine Vaterschaft informieren.
Was sollte sie tun? Diese schrecklichen Kopfschmerzen! Sie wollte nicht mehr nachdenken. Nur ein kleiner Brandy oder ein Sherry ... Das würde dem Baby nichts anhaben und ihr helfen, endlich einzuschlafen.
Lautlos schlich sie aus ihrem Zimmer, zog den Morgenmantel aus blauem Samt fester um die Schultern und eilte die Treppe hinab. Auf dem großen Tisch in der Halle stand ein Tablett mit einer gefüllten Karaffe und Gläsern. Hastig schenkte sie sich einen Brandy ein. Nur einen kleinen.
Als sie das Glas an die Lippen hob, hörte sie ein Geräusch im Korridor, der zur Schloss kapelle führte. »Wer ist da?« fragte sie.
Ein leises Schluchzen erklang. Vielleicht ein Kind, das sich verirrt hatte?
»Keine Angst, ich tu dir nichts!« rief sie leise. »Kann ich dir helfen?«
Ein schwaches Wimmern. Entschlossen stellte Sabrina ihr Glas ab und betrat den dunklen Korridor.
Plötzlich fuhr Edwina aus dem Schlaf hoch und
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