Die schottische Rose
Jubelgeschrei abgelenkt, mit dem die Menge eine schlanke, in einen langen, roten Samtmantel gehüllte Gestalt auf dem Deck der Saint Andrew begrüßte. Jakob. Juliets Blick glitt zu der kleineren, ebenso hoheitsvoll wirkenden Person neben dem zukünftigen König Schottlands. Joan Beaufort. Ihre Kusine.
Sie lachte und weinte gleichzeitig vor Erleichterung, als sie die beiden Menschen sah, auf die Schottland und sie selbst so lange gewartet hatten.
Eine Bewegung auf dem Podest lenkte sie ab. Der Herzog hatte sein Bonnet mit den prächtigen Federn aufgesetzt, nickte dem Statthalter zu, reichte seiner Tochter die Hand und trat mit ihr an seiner Seite die wenigen hölzernen Stufen auf die Pflastersteine des Docks hinunter. Er gab seinen schwer bewaffneten Leuten ein Zeichen, die sofort eine Gasse bis zum Schiff bildeten. Dann schritt der Herzog selbstbewusst dem König und seiner Gemahlin entgegen.
Robert Stewart blieb an seiner Seite. Sir Rupert starrte noch eine Sekunde länger auf das Lagerhaus, ließ seinen Blick prüfend über die Menge gleiten und folgte dann dem Herzog und seinem Onkel. Juliet fiel auf, dass er sich dabei dicht an Aylinn hielt.
Bevor Juliet mit Sir Archibald vortrat, um näher an das Schiff zu treten, sah sie noch einmal suchend zu den Hafenarbeitern hinüber. Wo um alles in der Welt steckte Connor?
»Was jetzt, Connor?« Geoff MacGregor deutete auf die schwer bewaffneten Soldaten, welche die Zugänge zu dem Dock abriegelten, an dem das Schiff des Königs anlegen sollte.
Connor blieb stehen und sah sich um. Bis jetzt war alles gut gegangen. Sie hatten Edinburgh durchquert, ohne angehalten zu werden. Doch kurz vor Leith waren sie von einer Eskadron der Männer des Statthalters überholt worden. Und als sie schließlich den Hafen erreichten, wären sie fast einer Kompanie Bogenschützen in die Hände gelaufen, welche die Farben des Herzogs trugen und gerade auf einer Mole in Stellung gingen, die quer zu dem Dock lag, auf welches die Saint Andrew zusteuerte. Von dort aus hatten die Männer freies Schussfeld auf alle, die auf dem Dock standen. Oder auf der Saint Andrew. Connor biss die Zähne zusammen. Er glaubte zwar nicht, dass der Herzog so verwegen war, Jakob bei seiner Ankunft in Schottland vor den Augen der Öffentlichkeit zu ermorden, aber man konnte nie wissen. Sollte es zu einem Kampf kommen, wäre es ein Leichtes, einen angeblich verirrten Pfeil auf den zukünftigen König abzuschießen. Und selbst wenn es keine Auseinandersetzungen gab, könnte man einen solchen Pfeil abschießen, wenn er zum Beispiel gestreift war und gelbe oder schwarze Federn am Schaft hatte, die Farben der Grants oder der McPhersons …
Er ballte die Hände zu Fäusten. Wie auch immer die Pläne des Herzogs aussahen, er konnte sie nur vereiteln, wenn er nahe genug an dem König war. Und im Moment sah es nicht so aus, als würde ihm das gelingen.
Connors Blick fiel auf eine Schänke, die sich an die Rückseite eines Lagerhauses schmiegte. Vor dem Eingang standen einige Hafenarbeiter. Sie stärkten sich offenbar mit einem kräftigen Schluck, um die Saint Andrew in Empfang zu nehmen. Nach dem Lärm zu urteilen, der aus der Schänke drang, befand sich der Großteil ihrer Kameraden noch in dem Schankraum.
Connor lächelte. »Wenn wir es nicht mit Kraft schaffen, Geoff«, sagte er dann, »müssen wir es eben mit List versuchen.« Er schaute seine Gefährten an und musterte dann die etwa sechzig Clansleute, die sich um ihn geschart hatten. Mit einem Nicken deutete er auf die Schänke. »Schon mal ein Schiff vertäut, Männer?«
Eine gute Viertelstunde später marschierten vierzig von Connors Leuten unter der Führung eines erfahrenen Hafenmeisters zwischen der Schänke und dem angrenzenden Lagerhaus auf das Dock. Sie wurden von den Soldaten des Herzogs durchgelassen, welche die Arbeiter kaum eines Blickes würdigten, hielten sie doch nach Männern Ausschau, welche die Farben der McPhersons trugen, vor allem nach einem großen, hünenhaften Schotten mit langen rotbraunen Haaren.
Hätten die Soldaten genauer hingesehen, wäre ihnen vielleicht aufgefallen, dass fast alle Männer trotz des milden Wetters ihre Mützen tief in die Stirn gezogen hatten und es ab und zu metallen unter weiten Jacken und Umhängen blitzte. Da jedoch die Arbeiter die schweren Ballen und Kisten mit Haken und Stemmeisen aus dem Frachtraum hieven mussten, erregte das keinen Verdacht.
»Und wie wollt Ihr bis zum Schiff kommen, Connor?«,
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