Die schottische Rose
Gesicht nirgendwo entdecken. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen. Ihr Blick suchte die anderen Hafenarbeiter, die jetzt die Saint Andrew vertäut hatten und sich daranmachten, die Laufplanke zu sichern, die vom Schiff an Land geschoben wurde. Es waren fast dreißig, nein vierzig Arbeiter, die sich um das Schiff des Königs kümmerten. Als sich einer von ihnen umdrehte, erkannte sie das Gesicht von Geoff MacGregor, einem anderen von Connors Vertrauten. Was hatten sie vor?
Die Aufregung schnürte ihr fast die Kehle zu. Selbst wenn sie versuchen würden, Connor zu umringen, wenn er zum König vordrang, wären sie der Übermacht der Männer des Herzogs hoffnungslos unterlegen.
Schließlich richtete Juliet ihren Blick auf Argyll von Albany und Robert Stewart, die umringt von ihrer schwer bewaffneten Leibgarde auf dem von einem Baldachin überragten Podest standen, das man in aller Eile neben der Anlegestelle errichtet hatte.
Sie achteten ebenso wenig auf die einfachen Arbeiter wie der frischgebackene Hauptmann der Leibgarde des Herzogs, der seine Stellung gerade erst angetreten hatte, nachdem John von Leland bei dem Kampf am Carn Glaschoire von Connor getötet worden war. Juliet kannte den Mann nicht, aber sie sah, dass er offenbar vollkommen damit beschäftigt war, seine schmucke Uniform zurechtzurücken.
Aylinn von Albany stand hinter ihrem Vater und dem Statthalter. Sie ist wirklich wunderschön, dachte Juliet, aber diesmal spürte sie keine Eifersucht. Trotz der eleganten Robe, in die Aylinn gehüllt war, und ihrer geraden, hoheitsvollen Haltung wirkte sie bedrückt. Ihr Gesicht war bleich, und sie achtete weder auf ihren Vater noch auf den Statthalter, ja, sie sah nicht einmal wie die anderen zu dem königlichen Schiff hinüber. Stattdessen glitt ihr Blick unablässig über die Menge, als suchte sie jemanden. Juliet konnte sich denken, nach wem sie Ausschau hielt.
Ihr Blick glitt zu dem Mann an Aylinns Seite, der unauffällig seine Hand auf ihren Arm gelegt hatte. Bevor Juliet über die Vertraulichkeit dieser Geste nachdenken konnte, fiel ihr Blick auf das Gesicht Sir Ruperts. Sie sog die Luft ein.
Sir Rupert von Atholl war nicht wie die anderen hohen Herrschaften auf dem Podest in prächtige Gewänder gekleidet, sondern trug einen dicken Lederharnisch über seinem langen, bis zu den Waden reichenden Kettenhaubert. Und er hatte auch kein zeremonielles, reich verziertes Schwert an seinem Gürtel, sondern war mit einem einfachen, aber zweifellos tödlichen Langschwert gegürtet, das Juliet bereits an ihm gesehen hatte. An seiner anderen Seite ragte der Griff eines Langmessers hervor, und auf dem Rücken trug er eine kleine, handliche Armbrust. So war kein Mann gerüstet, der sich zum Willkommen eines Königs herausgeputzt hat, sondern ein Krieger, der einen blutigen Kampf erwartete.
Seine Miene verstärkte diesen Eindruck noch. Er achtete nicht auf das Schiff oder den Herzog und den Statthalter. Sondern er starrte … Juliet wurde blass.
Sir Rupert beobachtete unverwandt die Hafenarbeiter. Er hatte die Zähne zusammengepresst, und seine Wangenknochen traten hervor, als sein Blick jetzt auf William the Brute fiel. Juliet spürte, wie die Aufregung ihr die Kehle zuschnürte. Zweifellos hatte Sir Rupert den Mann erkannt. Würde er jetzt Alarm schlagen und den Männern des Herzogs den Befehl geben, die Gefährten des vogelfreien Connor zu ergreifen? Sie grub die Nägel so fest in ihre Handballen, dass es schmerzte. Sir Rupert tat jedoch nichts dergleichen. Stattdessen drehte er den Kopf zur Seite und sah Juliet direkt in die Augen. Sie schluckte, als er unmerklich den Kopf neigte und seine Lippen zu einem spöttischen Lächeln verzog. Dann schien etwas anderes seine Aufmerksamkeit zu erregen, denn er riss den Blick von ihr los und hob den Blick, als betrachte er die Lagerhäuser, die sich hinter ihnen drängten. Er kniff die Augen zu, als wollte er genauer hinsehen, und trat unwillkürlich einen kleinen Schritt vor. Juliet bemerkte, dass er damit Aylinn nicht nur vor ihrem Blick schützte, sondern auch vor den Augen jeder Person, die sie in dem Lagerhaus hinter ihr beobachten mochte.
Aber in den Lagerhäusern hielt sich niemand auf. Die Läden vor den großen Toren, die sich in allen Stockwerken befanden und aus denen die Waren an Flaschenzügen herabgelassen wurden, waren geschlossen. Was gab es dort Interessantes zu sehen?
Bevor Juliet sich umdrehen und seinem Blick folgen konnte, wurde sie von dem lauten
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