Die schottische Rose
Edinburgh eintreffen. Das bedeutete, ihr blieb nicht mehr viel Zeit, ihre Aufgabe zu Ende zu führen. Und jetzt hatte sie noch so viel mehr zu bedenken. Würden der Herzog von Albany und der Earl von Atholl Jakob oder James I., wie er sich nach der Inthronisierung nennen würde, tatsächlich einen herzlichen Empfang bereiten? Das bezweifelte Juliet. Und welche Rolle spielte dieser Sir Rupert? Doch die wichtigste Frage im Augenblick lautete: Wie konnte sie die McPhersons davon überzeugen, sich Jakob anzuschließen? Dafür müssten sie zuvor wohl ihre Feindseligkeiten mit den Grants beilegen. Unwillkürlich kehrten Juliets Gedanken zu der Familienfehde und dem Elfenteich zurück. Und schon stand der faszinierende Fremde, der sie gerettet hatte, wieder vor ihrem inneren Auge. Sie unterdrückte ein gereiztes Stöhnen, als ihr Körper bei diesem Gedanken sofort und ungebeten reagierte.
Die letzte Nacht war alles andere als erholsam gewesen. Aber es waren keine Könige, Herzöge, Einhörner oder Kentauren, die sie in ihren Träumen verfolgt hatten. Juliet wurde warm, als sie daran dachte, und sie fächerte sich hastig Luft zu. Oh nein, es waren zwei graue, durchdringende Augen gewesen, die sie um den Schlaf gebracht hatten, schlimmer noch, um ihre Seelenruhe. Sie spürte, wie dieselbe Hitze sie erneut durchströmte, die sie trotz der kühlen Temperaturen in ihrem Schlafgemach in der letzten Nacht beinahe um den Verstand gebracht hatte. Selbst ihr Nachtgewand war ihr warm und beengend erschienen, als sie sich ruhelos auf der Matratze aus Stroh und Rosshaar hin und her gewälzt hatte. Zum Glück hatte Nanette, die in dem Alkoven gegenüber schlief, einen tiefen Schlaf.
Juliet hütete sich, zu ihr hinüberzusehen. Sie brauchte nicht die Hände an ihre Wangen zu legen, um sich zu vergewissern, dass sie förmlich glühten, und hatte nicht die geringste Lust, sich erneut den bohrenden Fragen von Nanette auszusetzen. Die würden zweifellos sofort kommen, sobald sie auch nur durch das leiseste Anzeichen ihren Zustand verriet …
Zustand? Juliet runzelte die Stirn. Was für ein Unsinn!, tadelte sie sich energisch, aber der Gedanke wollte sich nicht so einfach aus ihrem Kopf verbannen lassen. Was für ein Zustand sollte das sein? Gut, sie hatte allein in einem Teich gebadet und war dabei von einem Mann überrascht worden, einem barbarischen Fremden, einem Wilddieb, also ganz und gar nicht der Typ Mann, den Juliet auch nur im Entferntesten als einen ernsthaften Kandidaten für eine Eheschließung in Betracht gezogen hätte. Dabei war Juliet de Germont gar nicht so anspruchsvoll, jedenfalls glaubte sie das. Allerdings musste sie Nanette in einem Punkt recht geben. In Liebesdingen war sie ziemlich unerfahren – trotz ihres Alters und ihrer unbestreitbaren Fähigkeiten auf anderen Gebieten, die auch viel wichtiger waren, wie sie sich hastig versicherte, als sie versuchte, sich wieder auf das vordringlichere Problem zu konzentrieren, dem sie gleich gegenüberstehen würde.
Juliets Gedanken schienen jedoch ihren eigenen Willen zu haben. Als hätte es nicht genug Verehrer in meinem Leben gegeben, dachte sie trotzig. Doch keiner hatte es bisher geschafft, in ihr auch nur einen Funken von der Erregung zu erwecken, den dieser Fremde – dieser Wilddieb!, verbesserte sie sich rasch – in ihr ausgelöst hatte. Nicht einmal Sir Rupert, gestand sie sich mit einem kurzen Seitenblick auf Nanette ein.
Auf ihre Freundin schien der junge Stewart eine ganz andere Wirkung gehabt zu haben, denn Nanette hatte ihn schon beim Essen mit ihren Blicken förmlich verschlungen.
Juliet schätzte natürlich auch Sir Ruperts höfliche Art und seine Intelligenz, das schon. Er war zuvorkommend und gebildet, dieser Mann vom Teich hingegen … Wie er diese Männer mit seinem Schwert und seiner Armbrust bedroht hatte! Wie ein altertümlicher Barbar! Juliet versuchte, Empörung und Widerwillen zu empfinden, doch der Schauer, der ihr über den Rücken lief, sprach eine andere Sprache. Das war einfach lächerlich! Juliet schob energisch ihr Kinn vor. Sie war doch keine … keine … keine Frau, die sich dem erstbesten Wilden hingab, der sie … Sie zögerte, das Wort auch nur zu denken, doch trotzdem stiegen höchst ungebeten die Bilder aus ihren Träumen wieder vor ihrem inneren Auge auf.
Ihr Körper jedenfalls schien nicht so anspruchsvoll zu sein wie ihr Geist. In ihren Träumen hatte sich dieser Fremde keineswegs darauf beschränkt, sie nur
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