Die Schreckenskammer
Fackeln sich in einer Woge des Lichts auf sie zu. Wir hörten das Schaben von Schwertern in ihren Scheiden und sahen, wie Labbes Soldaten die Menge mit scharfen Spitzen zurückdrängte.
Irgendwie wurde die Ordnung aufrechterhalten, bis der Karren selbst in Sicht kam, doch in diesem Augenblick stürzte die Masse wie wild darauf zu. Schreien und Johlen schwoll an zu einem wütenden Chor; Fackeln tanzten gespenstisch, als wäre es Allerheiligen, was Soldaten zwang, aus ihrer Ordnung auszuscheren und wenigstens zu versuchen, die Lichterträger zurückzudrängen. In dem Schein, der auf den Karren fiel, konnte ich Gilles de Rais eben noch erkennen. Er war zwischen seine Komplizen geschlüpft und benutzte sie als Deckung. Die jungen Männer, die mit ihm verhaftet worden waren, dienten ihm jetzt als Schilde gegen die grapschenden Hände der Menge. Wir sahen zu, wie dieses unheimliche Schauspiel sich unter uns entwickelte wie eine große, dramatische Tragödie, deren Ende mir sicherlich das Herz brechen würde.
Später berichtete Henriet von ihrer Ankunft in Nantes.
Ich kann meinen Zustand, als sie uns ergriffen, kaum beschreiben. Ich hätte davonlaufen sollen, aber ich sah keinen Fluchtweg – ach, hätte ich nur den Weitblick von De Sille und De Briqueville gehabt. Milord Gilles ging auf mein Flehen nicht ein – keiner von uns konnte ihn erreichen, so sehr war er in sich selbst versunken. Ich hatte ihn schon früher so gesehen, aber wenn sonst diese Stille über ihn kommt, ist es in Wahrheit ein Tagtraum, ein Vergnügen an etwas tief in ihm selbst. Er beantwortete keine unserer verzweifelten Fragen nach unserem Schicksal, sondern starrte nur durch die Stangen des dahinholpernden Karrens nach draußen, murmelte Gebete um Vergebung, Beteuerungen seiner Hingabe an Gott und Schwüre ewiger Reue, und erneuerte immer wieder sein Versprechen, ins Heilige Land zu pilgern. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Gott ihm in diesem Augenblick zuhörte, sonst hätte Er uns ein Zeichen geschickt, um uns zu trösten. Milords Gesicht war angespannt und voller Tränen, und ihm stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Und wenn Gott einen großen Herren in seiner Stunde höchster Not nicht erhörte, wie konnte da ich, nichts als ein Page dieses Herren und vieler derselben Verbrechen schuldig, erwarten, dass mein Flehen erhört würde? Was ich noch an Hoffnung auf Erlösung hatte, wurde fest mit der Milords vereinigt durch ein Band unleugbarer Komplizenschaft.
Hätte ich in diesem Augenblick ein Messer gehabt, hätte ich mir selber die Kehle durchgeschnitten. Aber man hatte uns in weiser Voraussicht alle Waffen abgenommen, und so war ich gezwungen, am Leben zu bleiben und mich meinem Schicksal zu stellen, das nur schrecklich sein konnte.
18
Das zwölfjährige Opfer, Earl Jackson, wurde in einer Ecke eines Parkplatzes in einem Komplex verlassener Lagerhäuser in der Nähe des Flughafens gefunden. Der Fundort lag noch innerhalb der Stadtgrenzen von Los Angeles, aber nur knapp.
Erkinnen war noch bei mir, als ich vor dem gelben Absperrband hielt. Vier Streifenwagen bewachten das abgesperrte Gelände, alle mit blinkenden Lichtern. Das war zu viel des Guten – der nächste Verkehr war mindestens hundert Meter entfernt. Aber Vorschriften sind Vorschriften.
Es war überhaupt nicht so, wie ich es von einem Illusionisten erwartet hätte – keine Requisiten, keine Inszenierung, kein Folterszenario. »Ich weiß nicht so recht«, sagte ich, während ich den Wagen abstellte. »Das scheint nicht zu passen.«
»Haben Sie nicht was von einer Übungstat gesagt?«
»Üben hätte er nur die Entführung selbst können.«
»Na ja, vielleicht hat er alles andere schon perfektioniert. Die Entführung ist wahrscheinlich sein schwächster Punkt. Alles andere hat er völlig unter Kontrolle.«
Es erschien mir ziemlich sinnlos, dagegen etwas einzuwenden.
»Haben Sie schon mal ein totes Kind gesehen?«
»Nein.«
»Kann ziemlich grausig werden.«
»Das bezweifle ich keine Sekunde lang.«
Bezeichnenderweise war ich es, die kotzte.
Ich habe immer eine Flasche Wasser in meinem Auto, und ich war froh darum, weil ich mir den bitteren Geschmack aus dem Mund spülen konnte, bevor ich mich an die Untersuchung des Fundorts machte. Keiner hielt mir meinen Gefühlsausbruch vor. Als ich schließlich genauer hinschaute, sah ich, dass Earl – wie auch der Rest der verschwundenen Jungs – eher schmächtig war und jung für sein Alter wirkte. Er lehnte mit
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