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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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überflog ich die Grußformeln und Segenswünsche, da sie in jedem rechtlichen Dokument immer dieselben waren, was heißen soll, verwirrend und voller Oberflächlichkeiten. Im Namen von, dank der Gnade von, unter der Schirmherrschaft von. Diese Wörter verzögerten nur, dass ich den einzigen Teil des Schreibens erreichte, der von Bedeutung war: Wir, die wir nicht wünschen, dass derartige Verbrechen und die ketzerische Krankheit, die wuchert wie ein Geschwür, wenn sie nicht unverzüglich herausgerissen wird, in Schweigen übergangen werden, durch Nachlässigkeit oder Verheimlichung, und die wir fürderhin wünschen, dass die erforderlichen Heilmittel tatkräftig verabreicht werden, ersuchen und befehlen im Namen aller Anwesenden Euch, den Einzelnen und die Gesamtheit, ohne dass einer dem anderen Schuld zuschiebt oder sich auf Kosten eines anderen entschuldigt, durch diesen einen bindenden Erlass, dass Ihr am Montag, der auf das Fest der Erhöhung des Heiligen Kreuzes folgt, also dem 19. Tag des September, in personam vor uns oder unserem Vertreter vorführt den Edelmann Gilles de Rais, Ritter, unser Untertan und unter unserer Gerichtsbarkeit stehend, den wir demgemäß und entsprechend der Bedingungen dieses Schreibens vor uns wie auch vor den mit dem Fall beauftragten Anklagevertreter bestellen, auf dass er Rede und Antwort stehe im Namen des Glaubens wie auch des Gesetzes, und dafür ist es unser Wunsch, dass dieses Schreiben von Euch oder anderen unter Euch pflichtgemäß in die Tat umgesetzt werde.
    Gegeben am vergangenen Dienstag, dem 13. Tag des September, im Jahr unseres Herrn 1440.
    Das Datum war das des heutigen Tages, und es war noch früh, so dass das Dokument dem beabsichtigten Empfänger noch nicht übermittelt worden sein konnte. Das Schreiben war kopiert worden im Auftrag des Fürstbischofs Jean Guiole, ein Mann, der für gewöhnlich nicht zu unseren Vertrauten gehörte. Ich legte mir das Pergament auf den Schoß. »Ihr habt es nicht selbst unterzeichnet.«
    »Auch andere haben die Befugnis, dies zu tun.«
    Ein weiteres, rechtliches Dokument folgte am nächsten Tag.
    Ich, Robin Guillaumet, Priester und öffentlicher Notar in der Diözese von Nantes, habe mit Sorgfalt diese Erlässe zur Vollstreckung verfertigt, die gegen den besagten Gilles, Ritter, Baron von Rais, in besagtem Schreiben als Hauptbeschuldigter genannt, veröffentlicht und von mir in meinem eigenen Recht besiegelt wurden am 14. dieses September, gemäß der in diesen Schreiben verlangten Form und Art.
    »Wieder habt nicht Ihr unterschrieben, mein Bischof.«
    »Es ist nicht nötig, dass die Unterschrift die meine ist«, sagte er.
    Er würde weiter versuchen, sich zurückzuhalten.
     
    Jean de Malestroit begleitete auch den Verhaftungstrupp nicht, als dieser einen Tag später, am 15. des September, in Machecoul eintraf – er schickte einen weiteren avocat, der an seiner Stelle Herzog Jeans Hauptmann begleiten sollte. Der Trupp aus Rechtsvertretern und Soldaten zeigte sich gut beritten und schwer bewaffnet am Tor von Milords Schlosse.
    Es waren Gilles de Rais’ Gleichgestellte und Vertraute, darunter auch Männer, die mit ihm vor Orléans gegen die Engländer in die Schlacht gezogen waren. Ich versuchte, mir die Willenskraft vorzustellen, die nötig war, um den eigenen Waffenbruder zu verhaften. In welcher Weise auch immer, wohl unter Aufbietung all seiner Männlichkeit, gelang es dem Hauptmann Jean Labbe, der einst in Milord Gilles’ eigenen Truppen geritten war, den Haftbefehl zu verlesen und von Gilles de Rais zu verlangen, dass er sich unverzüglich diesem Trupp ergebe.
    Wir, Jean Labbe, Hauptmann, handelnd im Auftrag meines Herrn Jean V, Herzog der Bretagne, und Robin Guillaumet, Anwalt, handelnd im Auftrag von Jean de Malestroit, Bischof von Nantes, befehlen Gilles, Graf von Brienne, Herr von Laval, Pouzages, Tiffauges und anderer solcher Orte, Marschall von Frankreich und Generalleutnant der Bretagne, uns unverzüglich Einlass in sein Schloss zu gewähren und sich zu unserem Gefangenen zu machen, auf dass er sich der Anklage der Hexerei, des Mordes und der widernatürlichen Unzucht stellen möge.
     
    Wie immer verließen wir nach der Vesper die Kapelle und kehrten in die Abtei zurück. Jean de Malestroit war an diesem Abend kein Meister des Gesprächs, und ich keine Meisterin; während wir den Bogengang am äußeren Rand der Kirche entlanggingen, wechselten wir kaum ein Wort.
    Aber Worte, die herausmüssen, kommen auch heraus;

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