Die Schreckenskammer
neuen Entdeckung schien sich unvermittelt auf uns alle zu legen. Schließlich wandte Fred sich mir zu und sagte: »Ich glaube, Sie haben Ihren Mann. Sie wissen, dass die Hölle losbricht, wenn das hier rauskommt.«
Er hatte Recht: Es würde ein Chaos werden. Plötzlich fühlte ich mich so müde wie in meinem ganzen Leben noch nicht. Und jetzt, da ich Wilbur Durand praktisch in meiner Falle hatte, überfiel mich die merkwürdige Erkenntnis, dass ich noch nicht ganz bereit war, ihn zu verhaften. Ich musste erst mein Leben in Ordnung bringen, bevor ich es ihm widmete.
»Ich brauche einen Tag, um ein paar Dinge zu erledigen, bevor wir weitermachen«, sagte ich.
Fred starrte mich ungläubig an. »Was für Dinge?«
» Dinge eben, Fred. Details. Ich muss das alles zusammenschreiben und den Akten zuordnen, und ich brauche ein bisschen Schlaf, bevor ich das tue. Ich brauche nur einen Tag.«
»Sind noch andere Jungs in Gefahr, wenn wir warten?«
Jetzt stellte er diese Frage.
»Das kann ich weder so noch so beantworten, und das wissen Sie. Ich weiß, dass er das, was er macht, vorbereiten muss, falls er es auf die bisherige Art machen will, und da wir ihm jetzt im Nacken sitzen, ist er für eine neue Entführung wahrscheinlich noch nicht bereit.«
»Ich hasse wahrscheinlich. «
Das taten wir alle. »Einen Tag«, sagte ich leise.
Dies alles fand am Dienstagabend statt. Fred gab mir bis Donnerstagmorgen Zeit, um alle Details abzuklären und alles so zu organisieren, dass wir eine ordentliche Verhaftung vornehmen konnten.
Wir gaben uns darauf sogar die Hand. Vielleicht schüttelte er die meine zum Glückwunsch, ich weiß es nicht, aber ich hatte das Gefühl, wir hätten eine stillschweigende Vereinbarung getroffen. Ich hatte ein bisschen Zeit, vorausgesetzt, dass diese Sache nicht an die Öffentlichkeit drang. Ich hatte allen Eltern gesagt, dass wir gerade einen Haftbefehl vorbereiteten, aber noch nicht sagen könnten, wer der Verdächtige sei – wir wollten alles richtig machen und bräuchten ihre Kooperation, um das Ganze vorläufig geheim zu halten. Es war mir ziemlich schwer gefallen; sie alle hatten mich heftig mit Bitten um Informationen bestürmt. Ich hatte nichts preisgegeben, und das war mörderisch.
Es war schon fast Mitternacht, als ich mit allem fertig war. Als niemand zusah, schlüpfte ich in eins der Verhörzimmer, ließ die Jalousie vor dem Spionspiegel herunter, damit niemand hereinsehen konnte, ließ mich auf einen Stuhl fallen und gab mich einige Augenblicke lang völlig meiner Erschöpfung hin. Für eine ganze Weile würden es die letzten Minuten der Ungestörtheit und des Alleinseins sein; es gab noch einige Berge zu besteigen. Haftbefehl, die Verhaftung selbst, Anklageverlesung, Voruntersuchung, Prozess, Verurteilung, falls wir gewinnen sollten …
Gott, bitte, lass es nicht zu einem Prozess kommen, gib keinem die Chance, hier noch irgendwas zu vermasseln. Bring ihn dazu, dass er sich irgendeiner Tat schuldig bekennt, damit wir uns nicht alle durch diesen juristischen Dreck ziehen lassen müssen.
Aber wollte ich das wirklich? Natürlich wäre es einfacher, aber diese Medaille hatte auch eine Kehrseite. Wenn der Staat ein solches Schuldeingeständnis akzeptierte, würde er die mögliche Todesstrafe wohl in ein Lebenslang abschwächen müssen.
Wollte ich das wirklich? Es hatte im Augenblick wenig Sinn, darüber nachzudenken. Mein ganzes Leben würde sich ändern – und wohl eher zum Schlechteren als zum Besseren. Wenn wir diese Sache gewannen, würde es einige Anerkennung und vielleicht sogar eine Beförderung geben, aber die nächste Zukunft würde die reinste Hölle werden. Auch das Leben meiner Kinder würde sich verändern. Es würde keine stillen Abende mit Hausarbeiten oder Fernsehen mehr geben. Keine Ausflüge an den Santa Monica Pier. Sie würden viel mehr Zeit mit ihrem Vater verbringen, wobei das so schlimm nicht war. Sie würden von Klassenkameraden und Freunden mit Fragen bestürmt werden.
Schließlich stand ich auf und ging Nathans Schuhkarton holen. Ich suchte mir das Paar, das seins sein musste, aus den anderen heraus und legte die Schuhe behutsam in den Karton. Sie passten so perfekt hinein wie der silberne Pantoffel auf Aschenputtels Fuß. Ich hatte mir das bis zum Schluss aufgehoben, denn hätte ich schon frühzeitig gewusst, dass seine Turnschuhe dabei waren, wäre das für mich ein Makel gewesen. Danach hätte alles andere nur mehr wie eine Bestätigung ausgesehen, und ich
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