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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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versuchen, ihn zu überreden, dass es das Beste für ihn sei, wenn er einfach die Wahrheit sagte, wie es Jean de Malestroit von ihm wollte. Aber in meinem Herzen spürte ich nun eine Kälte, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Vielleicht kam es daher, weil Gilles endgültig das Aussehen von etwas Bösem angenommen hatte; er war unordentlich und ungekämmt, und seine Bewegungen hatten etwas tierhaft Wildes. Verschwunden war der mächtige Herr, der Held, nun zeigte sich eine dunkle und gemeine Bestie.
    Verschwunden war das Kind, an das ich mich erinnerte.
    Und verschwunden war nun endlich auch die mitfühlende Amme. Wortlos machte ich kehrt und schlüpfte leise durch die Tür.
     
    Ich eilte überhastet zurück und kam atemlos im Hof an, wo mich sogleich eine der jüngeren Schwestern begrüßte, die ziemlich aufgeregt wirkte.
    »Schwester, beruhigt Euch«, sagte ich. »Gibt es etwas, das auch ich wissen sollte?«
    »Nun, Mère, Seine Eminenz wünscht Euch unverzüglich zu sehen.«
    Meine Abwesenheit war also bemerkt worden. »Wann kam seine Botschaft?«
    »Es gab keine Botschaft, Mère « , erwiderte sie furchtsam.
    »Woher wisst Ihr dann, dass er mich zu sehen wünscht?«
    »Weil er selbst kam«, antwortete sie. »Erst vor wenigen Minuten. Und als er wieder ging, war er sehr betrübt, dass er Euch nicht finden konnte.«
     
    Ich klopfte zaghaft an seine Tür, die sofort aufgerissen wurde.
    »Na also«, rief er. »Da seid Ihr ja endlich.«
    »Eminenz, verzeiht mir. Ich dachte nicht, dass Ihr mich schon so früh am Morgen benötigen würdet, bei allem, was Ihr heute zu erwägen habt.«
    »Früh? Die Mette steht kurz bevor. Wo wart Ihr, als Ihr eigentlich in Eurer Kammer hättet sein sollen?«
    Ich konnte nichts anderes tun als lügen und hoffen, dass seine Spione nicht die Lager überwachten. »Ich war draußen bei den Versammelten, auch um diese Zeit herrscht schon reger Betrieb, doch ich fühlte mich recht sicher.«
    »Und was genau habt Ihr getan?«
    »Ich ging spazieren«, sagte ich. »Das beruhigt mich bisweilen.«
    »Und mich beruhigt es, zu wissen, dass Ihr jetzt verfügbar seid. Und in Sicherheit. Bitte, Guillemette, begebt Euch nicht in Gefahr. Diese Menge kann recht launisch sein, wie wir gesehen haben.«
    Ich senkte den Kopf. »Ich werde mich bemühen, vorsichtiger zu sein.«
    »Gut.« Ich hörte Erregung in seiner Stimme mitschwingen, hatte jedoch nicht das Gefühl, dass er mich der Lüge verdächtigte. Die Erregung musste einen anderen Grund haben.
    »Die Mette«, sagte er. »Lasst uns gehen.«
    Ich folgte ihm demütig in die private Kapelle; die große Kirche würde zum Bersten gefüllt sein mit Leuten aus den Lagern, die alle an der Heiligkeit teilhaben wollten, die, wie sie glaubten, in dem eindrucksvollen Gebäude zu finden sei. In stiller Abgeschiedenheit befreiten wir uns mit dem Kyrie von unseren Traumsünden und waren damit so gereinigt, dass wir während des Tages neu sündigen konnten, ohne um unser Seelenheil fürchten zu müssen. Ich flüsterte ein besonderes Gebet, um von der Täuschung freigesprochen zu werden, die ich in den dunklen Stunden vor Sonnenaufgang begangen hatte, raffte dann meine Röcke und verließ den Kirchenstuhl.
    Wie üblich blieb ich im Mittelgang stehen und bekreuzigte mich vor der Statue der Heiligen Jungfrau. Heilige Maria, Mutter Gottes, betete ich still, mache, dass Gilles de Rais die Grausamkeit der Folter erspart bleibet, und mache, dass dieser beschwerliche Prozess bald vorüber ist, damit ich meinen Sohn sehen kann.
    Ich drehte mich um und ging zum Ausgang der Kapelle. Ein unbekannter Bruder stand zwischen mir und der Tür; die ersten Strahlen der Sonne umrahmten seine hohe Gestalt. Es war etwas an der Silhouette, das Erinnerungen weckte. Ich kniff im fahlen Licht die Augen zusammen, konnte aber nichts erkennen.
    »Mutter«, hörte ich den großen Fremden sagen.
    Viele Menschen nennen mich Mutter. Aber die Stimme, diese Stimme …
    Mutter, hörte ich noch einmal. Das Herz schlug mir bis zum Hals.
    »Jean?«, flüsterte ich.
    » Oui, Maman, c’est moi. «
    Ich umklammerte ihn, drückte ihn mit solcher Kraft und Verzweiflung an mich, dass ich befürchtete, ich würde ihn verletzen.
    »Hat Seine Eminenz es dir nicht gesagt?«
    Ich drehte mich um und sah Jean de Malestroit, der die Wiedervereinigung aus der Ferne beobachtet hatte.
    »Warte hier«, sagte ich. Ich eilte nach vorne. Jean de Malestroit hatte sich wieder zum Altar umgedreht und tat so, als wäre er

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