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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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beschäftigt.
    »Ihr hättet mir ruhig etwas sagen können«, warf ich ihm vor.
    Er trug ein zufriedenes Lächeln zur Schau. »Das hatte ich ja heute Morgen vor. Aber Ihr habt mich dieses Vergnügens beraubt«, sagte er.
    »Daher die Aufregung, weil Ihr mich nicht fandet?«
    »Zum Teil. Der Rest war echte Besorgnis. Nun, was Euren Sohn angeht … Als Seine Heiligkeit schrieb und verlangte, dass die vorgeschlagenen Dispute hierher verlegt würden, um sie rechtzeitig abschließen zu können, schlug ich ausdrücklich vor, Jean zu einem der Abgesandten zu machen. Euch habe ich von diesen geänderten Plänen nichts erzählt, weil ich nicht wollte, dass Ihr enttäuscht seid, sollte es sich nicht so ergeben.« Er hielt einen Augenblick inne, um sich an meiner Reaktion zu weiden. »Ich hoffte, es würde Euch erfreuen.«
    Wie konnte ich einen Mann täuschen, der etwas so Wunderbares für mich getan hatte? Mein schlechtes Gewissen meldete sich, und kurz dachte ich daran, ihm zu sagen, was ich am frühen Morgen getan hatte.
    Aber dabei würde nichts herauskommen außer verstärktem Misstrauen. »Ich danke Euch, Bruder«, sagte ich mit einer Verbeugung. »Ich bin zutiefst dankbar, dass Ihr dies für mich getan habt.«
    Er lächelte beinahe schelmisch.
     
    Mein Bischof erließ mir meine Pflichten bei ihm, damit ich mich ganz meinem eigenen lieben Kind widmen konnte, bevor das Gericht, in weniger als zwei Stunden, wieder zusammentrat.
    Es gab so viel zu besprechen – seine Stellung, die Reise, seine Gesundheit und seine Gemütsverfassung –, aber als wir uns schließlich genug umarmt hatten, wollte Frère Jean über nichts anderes reden als über den Prozess und die Ereignisse, die ihn herbeigeführt hatten; fast eine Stunde lang erzählte ich ihm die Dinge, die er, ausgehend von den Briefen, die ich ihm geschickt hatte, wissen wollte.
    Im Verlauf meines Berichts wurde er immer nachdenklicher.
    »Mutter«, sagte er leise, als ich zu Ende gesprochen hatte, »du hättest mir von diesem Verdacht schreiben sollen, sobald er sich in deinem Herzen meldete.«
    »Warum?«, fragte ich. »Was hättest du tun können?«
    »Wenn schon sonst nichts, hätte ich dir in deinem Kummer wenigstens Trost spenden können.«
    »Von Avignon aus?«
    »Ich ziehe großen Trost aus deinen Briefen, und ich hoffe, du ebenso aus meinen.«
    Ich hatte ihn gekränkt. »Aber ja doch, das tue ich, mein Liebster; ich warte stets sehnsüchtig auf sie und verschlinge sie, wenn sie kommen. Du braucht nur Seine Eminenz zu fragen.« Ich griff in meine Tasche und zog seinen letzten heraus. »Hier«, sagte ich.
    »Schau, wie zerknittert er ist. Vom vielen Lesen. Ich lerne sie gewissermaßen auswendig.«
    Er lächelte und legte mir den Arm um die Schultern. Doch das Lächeln verschwand schnell wieder, und ein bekümmerter Blick trat an seine Stelle. » Mère, ich muss selbst ein Geständnis machen.«
    Selten hatte ich eine solche Qual auf seinem Gesicht gesehen.
    »Ich habe nie davon gesprochen, als Michel starb«, sagte er, »aber ich muss dir sagen, dass ich zu der Zeit unheilige Gedanken hatte.«
    »Unheilig? Aber wie das?«
    »Ich verdächtigte jemanden des Verbrechens, jemanden, über den ich auf solche Art nicht hätte denken dürfen.«
    »Jean – wen?«
    »Milord Gilles.«
    Meine Stimme konnte selbst ich kaum hören. »Weißt du etwas über diesen Vorfall, das du mir nicht gesagt hast?«
    »Nichts Genaues. Aber etwas an der Art, wie er sich danach verhielt, störte mich – ich sah zu viel Schadenfreude in ihm.«
    »Schadenfreude? Er freute sich über Michels Tod?«
    »Das glaube ich, ja.«
    Nun, dies entsprach genau dem, was ich von Marcel gehört hatte.
    »Und jetzt ist es an mir, dich zu fragen, warum du nie über deinen Verdacht gesprochen hast.«
    » Maman, ich war damals doch nur ein Knabe.«
    »Dreizehn«, entgegnete ich. »Fast schon ein Mann. Und bereits entschlossen, deiner Berufung nachzugehen.«
    Nun huschte etwas über sein Gesicht, das wie Scham wirkte, aber nicht reine Scham – ein Teil davon war Enttäuschung. »Ich hatte nicht den Mut, gegen ihn zu sprechen. Zwischen uns war ja keine große Liebe – und nach Michels Tod noch weniger. Wir redeten nur miteinander, wenn es unbedingt notwendig war.«
    »Aber ihr wart doch oftmals freundlich miteinander, sogar zu der Zeit von Michels Verschwinden.«
    »Das war meistens dir zuliebe, Mère. Eine Vortäuschung, auf die wir uns stillschweigend geeinigt hatten. Unsere Kameradschaft hatte keinen Gehalt

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