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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Als alles so vollkommen war, wie ich es machen konnte, lief ich zum Schloss zurück und winkte dem Posten, sobald ich in Sichtweite kam. Ich fing an zu schreien und zu stammeln, dass Michel von einem Keiler fortgeschleift worden sei- aber das wisst Ihr, Mère, denn Ihr wart im Hof, als die Reiter aufbrachen.
    Das Licht verlöschte bereits, und bald herrschte Dunkelheit. Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang mussten die Reiter umkehren, und sie setzten die Suche erst am nächsten Morgen fort. Ich weiß in meinem Herzen, dass sie wahrscheinlich nur wenige Schritte von der Stelle entfernt gewesen waren, wo Michel lag; doch sie hätten ihn kaum finden können – er war zu gut versteckt, zumindest zu der Zeit. Ich werde nie verstehen, warum Euer Etienne bei seinen Streifzügen durch den Wald nicht über ihn stolperte; er hatte mir einmal erzählt, wie ausführlich er gesucht hatte. Ich glaube, dass er vielleicht zu weit gewandert war – da er meinte, er suche nach einem Leichnam, den ein Keiler oder ein anderes Tier fortgeschleift hatte. Erst eine gute Weile später kehrte ich zu der Stelle zurück, um nachzusehen, ob das Grab noch unversehrt war. Ein paar Steine schienen verschoben worden zu sein, vielleicht von einem Tier. Der Kopf war zum Teil freigelegt, und so deckte ich ihn ganz ab. Da war Michels süßes Gesicht, und nun endlich lächelte es mich an. Ich konnte es nicht ertragen, den Kopf dort zu lassen, und so nahm ich ihn mit.«
     
    Madame Karle und ihr Sohn hatten Michel also gefunden, bevor Milord den Kopf mitgenommen hatte. Jean de Craons plötzliches Auftauchen hielt sie davon ab, zu berichten, was sie wussten, da sie fürchteten, er würde ein dunkles Geheimnis aus Madames Vergangenheit preisgeben. Ich wage gar nicht, mir vorzustellen, was für ein Geheimnis so kostbar sein konnte, dass es sie daran hinderte, etwas so Abscheuliches zu enthüllen. Ihr Sohn wollte es mir nicht sagen, und Madame selbst war tot, und so würde ich es wohl nie erfahren.
    Aber hier vor mir stand der Mann, der meinem geliebten Kind das Leben geraubt hatte, ganz einfach, weil er es wollte. Einfach weil es ihm in den Sinn gekommen war, dass er es wollte, weil es getan werden und er es tun konnte.
    Ich wankte, doch ich musste mich wieder in die Gewalt bekommen. So setzte ich mich in den reich verzierten, wunderschönen Sessel, auf den ich bei meinem ersten Besuch meinen Mantel geworfen hatte. Ich steckte den Elfenbeintopf, der dieses Geständnis aus Gilles de Rais herausgelockt hatte, wieder in den Ärmel und spürte dabei den Dolch. Meine Finger umfassten das Heft und fanden eine Kraft, wie ich sie mir nie hätte vorstellen können. Geräuschlos sank der Topf in die Tiefen der Ärmeltasche, als ich den Dolch langsam nach vorne zog.
    Hatte Milord sich so gefühlt, wenn er den braquemard in der Hand und den Hals oder den entblößten weißen Bauch eines Kindes vor sich hatte? Er musste sich stark und mächtig über diesen schwachen Kleinen gefühlt haben, die sich nicht wehren konnten gegen ihn oder seine ähnlich verderbten Kumpane. Er musste sich gefühlt haben wie Gott selbst – allmächtig, allgewaltig, der Herrscher über alle Dinge, dem kein Vergnügen, das er sah oder sich erträumte, verweigert werden konnte. Mit harten und sicheren Streichen hatte Milord unzähligen Knaben das Leben genommen und vielleicht einem Dutzend junger Mädchen, die die unangebrachte Waghalsigkeit besessen hatten, anwesend zu sein, als er ihre Brüder wollte.
    Jetzt würde ich einen harten und sicheren Streich führen und diesen Teufel für alle Zeit in die Tiefen der Hölle schicken.
    Milord stand mit geschlossenen Augen da, als genösse er die Erinnerung. Ich bewegte mich langsam und vermied jedes Rascheln meiner Robe, um nicht seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Kurz bevor ich den Dolch herauszog, betete ich mit all der Ernsthaftigkeit, die ich in meinem Herzen hatte.
    Lieber Gott, vergib mir, was ich jetzt tun werde. Und wenn der Tag meines Gerichts kommt, denke daran, dass ich in diesem Augenblick Dein Werkzeug bin, dass dies Deine Hand ist, die den Dolch hebt; dass dies Dein Wille ist, der ihn führt. Lass mich die Hand der Gerechtigkeit sein, die ihr Ziel in der Kehle dieses Bösen findet, der Dich und alle Deine Geschöpfe beleidigt …
    Plötzlich waren Gilles’ Augen offen, und er starrte mich an. Sein Mund war aufgerissen vor Entsetzen, und er wich zurück. Er hob die Hände, wie um sein Gesicht zu schützen.
    Aber ich hatte den

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