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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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schiefgeht. Es kann genausogut – ha! – die Gesellschaft sein, oder die Zeit oder schlicht
und einfach etwas in ihnen selbst, eine Anlage, die sich von
lange vor unserer Zeit vererbt hat …«
»Die Erbsünde?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur, wenn es mit denen, die hier im
Leben neu sind, schiefgeht, dann geht es auch mit allem anderen
abwärts! ›Gewogen und für zu leicht befunden‹, oder, Veum?
Gewogen und für zu leicht befunden, alle miteinander.«

40
    Ich rief Vidar Waagenes von Sola aus an. Er war beschäftigt,
aber seine Sekretärin hatte eine Nachricht für mich: Donnerstag
um zwölf Uhr, auf dem Polizeirevier.
    Während ich auf die erste Abendmaschine wartete, aß ich in
der Cafeteria irgendein lauwarmes Fleisch, trank eine Tasse
Kaffee und blätterte in einer mitgenommen aussehenden
Ausgabe einer der Morgenzeitungen, deren gestrige Nachrichten
auch schon lange abgekühlt waren.
    Die Aktivitäten des Tages hatten die Gedanken daran, welches
Datum wir schrieben, vertrieben. Aber jetzt, wo ich im Begriff
war, die Nase wieder in Richtung Heimat zu wenden, kamen sie
mit einem so kräftigen Bumerangeffekt zurück, daß ich schon in
der Wartehalle anfing, mich nach bekannten Gesichtern umzusehen. Aber ich fand keines.
    Die Maschine nach Bergen war voll. Auf dem Platz neben mir
saß ein Mann in den Dreißigern mit einer randlosen Lesebrille
und einer Aktentasche. Er sah aus, als hätte er vor, im Laufe der
knappen halben Stunde, die wir in der Luft waren, seine gesamte
Jahresabrechnung durchzugehen, und er schielte auch nicht eine
Sekunde in meine Richtung.
    Auch sonst zog niemand die Notbremse, und wir kamen ohne
weitere Turbulenzen in Flesland an, abgesehen von denen von
Backbord direkt vor der Landung.
    Auf dem Weg nach draußen landete ich ungefähr in der Mitte
der Schlange. Auf dem Weg zur Ankunftshalle hinunter ließ ich
auf der Treppe meinen Blick durch den Raum schweifen,
solange ich noch die Übersicht hatte. Niemand war gekommen,
um mich abzuholen, und auch sonst kam mir keiner bekannt vor.
    Da ich auf kein Gepäck zu warten hatte, ging ich schnell in
Richtung Ausgang. Da war ich nicht der einzige. Die meisten
hatten nicht viel mehr als eine Aktentasche dabei.
    Draußen war es dunkel, es wehte ein kalter, beißender Wind,
und es war deutlich kälter als in Stavanger. Ich war auch nicht
der einzige, der seinen Wagen auf dem Langzeitparkplatz stehen
hatte. In gewisser Weise war es beruhigend, Gesellschaft zu
haben. Aber andererseits … Wer waren sie alle?
    Ich fand meinen Wagen und ging schnell einmal herum, um
die Schlösser und die Scheiben zu kontrollieren. Danach öffnete
ich die Fahrertür, nahm den Eiskratzer heraus und schabte eine
dünne Eisschicht von der Windschutzscheibe, bevor ich mich
hineinsetzte, den Schlüssel ins Zündschloß steckte und ihn
herumdrehte.
Der Corolla startete wie eine Eins, wie er es in all den Jahren
immer getan hatte.
    Ich sah mich nach beiden Seiten um, bevor ich den Wagen
langsam in Bewegung setzte.
Auf dem Flyplassvei hielt ich ständig nach hinten Ausschau.
Wenn an diesem Abend Motorradfahrer unterwegs waren, dann
jedenfalls nicht in dieser Gegend; und wenn sie in ein Auto
umgestiegen waren, dann hatte ich keine Ahnung, in welches.
Das Radio war gestört, und ich schaltete den Suchlauf ein. Ein
Lokalsender warnte vor glatten Straßen in Bergen und Umgebung und forderte die Autofahrer auf, vorsichtig zu fahren und
die Geschwindigkeit den Gegebenheiten anzupassen. Ich paßte
mich augenblicklich an, zum großen Ärger meiner Hinterleute.
Aber von ihnen hatte wohl auch kaum jemand seine eigene
Todesanzeige zugeschickt bekommen.
Statt auf die Autobahn zu gehen, bog ich nach Nesttun ab und
folgte dem Fanavei in Richtung Stadt. Zwischen Nesttun und
Paradis blieb ich hinter einem großen, dunkelblauen Lieferwagen hängen. Auf den Fußwegen um das Tveitavann herum
machten die Menschen schon ihre Abendspaziergänge, und ich
nahm den Hagerupsvei nach Landås.
Es war Viertel vor acht, als ich zum Fløyenbakken abbog. Ich
zählte die Bremsschwellen unterwegs, während ich mich nach
rechts und links umsah.
Auf dem Parkplatz vor dem Block war gerade noch für ein
Auto Platz, solange man nicht allzu große Gegenstände durch
die Seitentüren herausnehmen wollte.
Ich hatte keine Ahnung, woher der große, schwere Sattelschlepper kam. Ich war gerade dabei, mich aus dem Auto zu
aalen, als er mit einem Motorenlärm über die

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