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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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stinksauer.«
»Wegen – dem heute abend?«
»Deswegen auch … Aber am meisten wegen der Geschichte
mit Torild Skagestøl und den anderen wie sie … Die Ärsche da
im Dunkeln haben Scheiß noch mal einen mächtigeren Apparat
als die, die versuchen, zu helfen! Hotelangestellte, Ärzte,
Taxifahrer und Zuhälter – und solche wie Birger Bjelland,
Pontius Pilatus aus Stavanger!«
»Hast du da unten was rausbekommen?«
»Ja, das hab ich tatsächlich. Diesmal werde ich ihn kriegen,
Karin!«
»Aber erst in einer Woche!«
»Jedenfalls nicht vor morgen …«
Sie sah mich vorwurfsvoll an. »Varg …«
Ich legte ihr die Hand auf den Mund. Unsere Blicke verhakten
sich ineinander. Dann tauchte ich in ihr Gesicht ein. Ich legte die
Hände um ihren Kopf und hielt ihn fest. Ich war fünfzig, sie ein
paar Jahre jünger. In keiner Landschaft bewegte ich mich mit
größerer Ruhe als in ihrer.
›Wie schön du bist, meine Geliebte … Deine Lippen sind rot
wie Kirschen … Wie die Scheibe eines Hardangerapfels deine
Schläfe … Deine Brüste sind wie zwei Hirschkälber, irgendwo
draußen in Lindås … Wenn der Tag versiegt und die Schatten
fliehen, dann gehe ich zu den Maiglöckchen, zu dem Hügel, der
nach Harz duftet … Meine Geliebte, alles an dir ist schön; du
bist ohne Makel …‹
Später, als sie eingeschlafen war, lag ich wieder einmal da und
horchte auf ihren Atem, ohne selbst schlafen zu können.
Der Schlaf ist das Präludium des Todes. Bleibst du zu lange
liegen, kann alles geschehen.
42
Ich wachte davon auf, daß sie neben dem Bett stand.
     
Ihre Stimme klang, als wäre sie mit dem Mund zur Hälfte
unter Wasser. »Varg? Wie geht es dir?«
     
»Wie Jonas im Bauch des Wals. Sind wir schon da?«
    »Du hast so gut geschlafen, daß ich es nicht über mich gebracht habe, dich zu wecken. Aber jetzt muß ich gehen.«
»Hast du gegessen?«
Sie ruckte. »Und du läßt es heute ruhig angehen, okay? Versprichst du mir das?«
»Ich werde versuchen, mich nicht aufzuregen. Ich werde mich
langsam bewegen und tief ein- und ausatmen. Mehr kann ich
nicht versprechen, nicht mit der Hand auf dem Herzen, bevor
dieser Fall endgültig unter Dach und Fach ist.«
Sie seufzte. »Tja, ich sollte ja wohl Problemkinder gewöhnt
sein –«
Ich lächelte ihr aufmunternd zu.
»Du siehst fürchterlich blaß aus.«
Ich fühlte mich auch blaß, und sie hatte kaum die Tür hinter
sich geschlossen, da war ich schon am Küchenschrank und holte
meine stärksten Kopfschmerztabletten heraus. Und ich ließ sie
auch nicht zurück, sondern steckte mir zur Sicherheit das ganze
Glas in die Tasche, als ich ging.
Draußen wartete niemand auf mich. Der Schnee fiel in leichten
Körnern von einem bleigrauen Himmel, und es war gerade kalt
genug, daß er wie ein Leichentuch über den Hausdächern
liegenblieb.
Ich öffnete den Briefkasten und nahm die Post mit ins Büro,
ohne sie anzusehen.
Als ich das Büro betrat, sah ich zum Anrufbeantworter. Keine
Nachfragen. Dann blätterte ich die Post durch. Nichts Interessantes.
Wie ein verspäteter Schock durchfuhr mich der Gedanke, daß
die Stille bedrohlicher war als alles andere. Es war, als …
Als würde ich nicht mehr existieren, als sei ich schon …
Tot.
Dann rief ich die Versicherung an und schilderte, was von
meinem Auto noch übrig war. Sie waren nicht besonders erfreut.
Aber laut Vertrag war ein Leihwagen selbstverständlich in
Ordnung, vorausgesetzt, ich brauchte ihn für die Arbeit. Das tat
ich, und sie erzählten mir, an welche Autovermietung ich mich
wenden sollte.
Nachdem ich aufgelegt hatte, war ich überzeugt, daß sie mich
augenblicklich auf die Liste der unerwünschten Kunden setzen
würden. Jedenfalls würden sie sicher nicht den roten Läufer
ausrollen, wenn ich das nächste Mal vorbeikam.
Ich verschloß die Tür gründlich, als ich ging.
    Der Leihwagen war ein Opel, und ich hatte nicht den klaren
Kopf, um die Unterschiede zu meinem eigenen Wagen sofort zu
verarbeiten, so daß ich ziemlich ruckartig um Nøstet herum und
über die Puddefjordbrücke fuhr, bis ich mich nach und nach an
das neue Pedalset gewöhnt hatte.
    Die Digi-Data AG befand sich als einer der Anteilseigner in
einem restaurierten Fabrikgebäude in Laksevåg. Die Sekretärin
an der Rezeption sah diskret in mein zerschundenes Gesicht und
fragte mich, ob ich wisse, wo ich Ove Hopsland fände. Nein,
sagte ich, und sie begleitete mich bis zu seinem Büro und hielt
mir sogar die Tür auf.
    Ein junger,

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