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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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sich am liebsten in einen Vogel verwandeln, der weit und hoch über dieses Meer der endlosen Landschaft fliegen kann. Wie er das vorbeiziehende Bild genoss, fiel ihm ein, dass Adrienne in dieser Gegend wohnte. Man hatte ihm gesagt, ihr Haus stehe genau gegenüber der einstigen Burg, die nach dem Tunnel in Sicht komme. Wo mochte es sein, in welcher Richtung? Als sie aus dem Tunnel hinauskamen und die Waggons sich in der Kurve quietschend neigten, erblickte er die Ruine. Das ist sie, dort in der Ferne! Das ist sie! Als streckten sich zwei weiße Finger gegen den Himmel, die Finger eines Riesen – bloß zwei helle, gerade Linien vor dem bräunlich-violetten Hintergrund, den der Buchenwald bildet. Drüben am Hang könnte also das Haus stehen. Vielleicht schaut auch sie in dieser Minute auf die Burgruine, und ihre Blicke treffen sich dort. Das wäre doch noch erlaubt, das nähme sie vielleicht nicht übel. Und jetzt, nach vielen Wochen, dachte er zum ersten Mal wieder an Adrienne Milóth, deren Bild er bisher, wenn es sich manchmal in der Erinnerung ungebeten meldete, ärgerlich verscheucht hatte.

    Bálints Mutter, Róza Abády, war eine zur Fülle neigende Frau von kleinem Wuchs. Zwar zählte sie wenig mehr als fünfzig Jahre, mit ihren schaumweißen Haaren wirkte sie aber viel älter, zumal sie sich stets in schwarzen, zu ältlichen Frauen passenden Kleidern zeigte. Etwas anderes hatte sie seit dem Tod ihres Mannes nie mehr getragen. Tamás Abádys Tod nach zehn Ehejahren hatte sie als schwerer Schlag getroffen. Für sie war es eine Liebesheirat gewesen, obwohl die Väter der Eheleute den Bund planmäßig vorbereitet hatten. Tamás galt als schön und gewinnend und außerdem als ein begabter Mann.
    Die ersten Jahre der Ehe gerieten etwas stürmisch. Die kleine Róza war ein recht eigenwilliges, launisches Geschöpf, denn man hatte sie, als sie im zwölften Jahr der Ehe ihrer Eltern auf die Welt gekommen war, wie ein Wunder betrachtet und schrecklich verwöhnt. Alles geschah nach ihrem Willen. Wie eine richtige Prinzessin durfte sie Haus und Hof tyrannisieren. Und sie fühlte sich in der Tat wie eine kleine Märchenprinzessin. Das gewaltige Schloss und der weite Park von Dénestornya, die vielen Diener, die ihr zu Gebote standen, all dies bestärkte erst noch das ohnehin gesteigerte Selbstgefühl des Kindes. Das erwachsene Mädchen bewahrte dieses Bewusstsein. Es versteht sich, dass diese Natur nach ihrer Verheiratung anfänglich zu manchem Streit und heftigem Auftritt führte, die aber früher oder später immer damit endeten, dass die in ihren Mann sehr verliebte Frau nachgab. Allmählich kapitulierte sie, und in den letzten Jahren der Ehe sah sie alles nur noch mit den Augen ihres Mannes, jeder seiner Wünsche wurde für sie zum Befehl. Das waren sehr glückliche Jahre, ihre einzig wirklich glücklichen. Und dann schlug das Schicksal zu. Tamás Abády erkrankte an Krebs, der ihm nur einige Monate beließ. Der Mann erkannte das eigene Leiden klar. Die letzte Lebensperiode benutzte er deshalb dazu, seine Frau auf die Trennung und die Aufgabe vorzubereiten, die ihr nach seinem Tod zufallen würde. Er hatte angeordnet, den kleinen Bálint im Alter von zehn Jahren ins Theresianum zu schicken. Er war es auch, der gewünscht hatte, dass der Sohn nach Abschluss der rechtswissenschaftlichen Studien zumindest für einige Jahre in den diplomatischen Dienst treten sollte. Er wollte vermeiden, dass nur Frauen ihn großzogen, und es war sein Wille, dass Bálint, nachdem er die Welt kennengelernt und sich unter Fremden bewegt hatte, später, zum Mann herangewachsen, über die eigene Zukunft selber entscheide.
    Es war ein grausamer Befehl, der die Frau für lange Jahre der Möglichkeit beraubte, dauerhaft mit ihrem Sohn zusammenzuleben. Doch wer dem Tod gegenübersteht, kann mit denen, für die das Leben weitergeht, grausam verfahren. Er musste so handeln, denn er kannte seine Frau gut. Sie hatte ein gütiges Herz, war opferbereit und von edler Denkweise. Zugleich neigte sie dazu, ihren Sohn zu bemuttern, was ihm hätte schädlich werden können. Darum wünschte er, dass Bálint anderswo erzogen werde, damit er sich in der fremden Umgebung abhärte und so zum Mann heranwachse. Die Ferienzeit zu Hause würde genügen, das war gut und notwendig, so konnte er die heimatliche Umgebung lieb bekommen. All dies besprach er eingehend mit seinem Vater, dem alten Péter Abády; einzig von dessen Lebensweisheit ließ er sich beraten. Und so

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