Die Schrift in Flammen
gesehen, mein Führer, wie ich sie mit dieser Lanze vom Podium hinunterjagte?« Und er hob eine mit großen Nägeln gespickte lange Eichenholzlatte in die Höhe; er hatte sie vom Geländer abgesprengt. »Damit habe ich unter den Schurken gefischt! Toll, was?«
Alle brüsteten und rühmten sich auf solche Art, sie genossen ihren Triumph. Dann wandte sich ihre Aufmerksamkeit der Mitte zu, wo sie einen ihrer Kollegen, einen Priester, bemerkten; dieser war bisher am Rand in einer Bank gesessen, doch jetzt schritt er auf den Scheiterhaufen zu. Er erkletterte die aufgeschichteten Trümmer und setzte sich zuoberst. Es war ein großer, magerer, dunkelhaariger Mann, mit unrasiertem Kinn und schmieriger Soutane. Er verzog das Gesicht zu einem gemeinen, siegestrunkenen Lächeln, als er sich wortlos niederließ und, die Hände in die Hüfte gestützt, vor den anderen posierte.
»Bravo, Jancsi! Bravo!«, riefen einige.
In diesem Augenblick ging hinter den Bänken des Regierungslagers eine Seitentür auf. Tiszas große, hagere Gestalt zeigte sich in der Türöffnung. Plötzlich trat Stille ein, und alle Blicke richteten sich auf ihn. Er stand eine Weile da, und hinter seinen riesigen Brillengläsern musterte er die Gruppe der Zerstörer.
Endlich sprach er: »Das, allerdings, ist ein beschämender Fall!«
Verächtlich drehte er sich um und verließ den Raum.
Diese Geschichten meldeten sich in Bálints Erinnerung, als er schlaflos in seinem Abteil lag. Sie zeichneten sich scharf ab, entschwanden und überfielen ihn qualvoll von neuem. Sámuel Barras bombastische Sprüche, das dröhnende Gelächter und die Großtuerei der »Zoltáne«, verdeckt noch von den vielen wolkigen staatsrechtlichen Argumenten, die er in den letzten Wochen vernommen hatte. Und die Dampflokomotive, als wollte sie all dies verspotten, schnaubte fortwährend: Tschi-schu-schu! Tschi-schu-schu!
Diesen Leuten sollte er sich anschließen? Diesen da? Leuten, die schutzlose Diener verprügelten, anständige Menschen, die man von der Gendarmerie und der Polizei hinbeordert hatte und die sich so diszipliniert verhielten, dass sie nicht einmal zurückschlugen, da sie streng ihrem Befehl folgten? Mit denen sich verbünden? Mit denen zusammen sollte sein Name erwähnt werden? Und doch – diente er nicht den geheimen Wünschen des Belvedere, wenn er sich auf die andere Seite stellte?
Dies war das Dilemma, vor dem er aus der Hauptstadt flüchtete. Ekel und Angst vor jedweder Entscheidung trieben ihn. Der Zug aber hörte nicht auf, ihn zu verspotten: Tschi-schu-schu, Tschi-schu-schu! Als lachte ihn die stahlbauchige, herzlose Maschine pausenlos aus.
Er schlief spät ein. Er erwachte spät. Die Morgensonne schien neben den festgehefteten Vorhängen ins Coupé herein. Zuerst glaubte er, der Schaffner habe vergessen, ihn zu wecken, sodass er den Bahnhof von Klausenburg im Schlaf verpasst habe. Er wurde indessen gleich beruhigt durch die Meldung, dass sie sich erst Csucsa näherten, da sich die Verspätung auf mehr als zwei Stunden vergrößert hatte.
Er kleidete sich zügig an und stand bald schon im Korridor. Herrliches Winterwetter herrschte draußen, hell und heiter mit viel Schnee. Im Bett des Körös glänzten dicke, blau durchsichtige Eisschollen. Alles war blendend weiß. Der Schnee staute sich selbst auf den kleinen Bauernhäusern, obwohl deren Dächer so steil waren wie Morcheln. In der stählern glänzenden Mitte der Landstraße, wo sie ausgefahren war, zog hier und da ein Büffelpaar einen auf Holzkufen gleitenden Schlitten. Der Besitzer trottete fröstelnd daneben. Die Ruinen der Festung Sebesvár zeigten sich hoch oben, sie lagen dunkel im Schatten.
Das Vlegyásza-Gebirge dahinter schien einzig aus Dunst zu bestehen. Der reifbedeckte Marótlaki-Gipfel folgte, der harte Grat des mit Puderzucker bestreuten Kő-Bergs, dann die Bocsi-Spitze, in eine weiche Daunendecke eingepackt. Die Wellen des Vordergrunds wiederum hatte der Schnee glatt wie Rahm gefüllt. Sie passierten die Stadt Bánffyhunyad mit ihrer merkwürdig dreiteiligen Kirche. Der Zug eilte dann weiter, schwer schnaufend, denn nun nahm er die steilste Strecke in Angriff, den Aufstieg zum Tunnel von Sztána. Bálint wechselte zum Fenster auf der anderen Wagenseite hinüber. Er liebte die Aussicht sehr, die sich hier auf das Tal des Flüsschens Almás und das Meszes-Gebirge eröffnete. Man konnte da über zahllose waldbewachsene Bergrücken hinweg in die unendliche Ferne blicken. Hier möchte man
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