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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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damals dazu, öffentlich-rechtliche Standpunkte dem Staatsinteresse unterzuordnen, dies umso eher, als ihm das damals europaweit einsetzende Wettrüsten bekannt war. Doch seit den Vertraulichkeiten Slawatas, seitdem er in die Geheimnisse von Franz Ferdinands Werkstatt Einblick gewonnen hatte, sah er die Dinge in neuem Licht. Auch er begann nun den regelgerechten Formen viel Gewicht beizumessen und für all das einzutreten, was dazu berufen war, die nationale Selbständigkeit und Selbstverfügung zu schützen.
    In diesem Geisteszustand befand er sich, als am 13. Dezember die Kammer zu einer Sitzung einberufen wurde. Tags zuvor war in den Abendblättern ein kleines, wortkarges Communiqué erschienen: »12. Dez. Die parlamentarische Leibgarde ist heute mit Instruktionen versehen worden. Das Wesentliche der Instruktionen besteht darin,dass Mitglieder der Garde an einen Abgeordneten auch dann nicht Hand anlegen dürfen, wenn man ihnen gegenüber tätlich geworden sein sollte.«

    Gewiss war es die Verehrung, die damals den Beruf des Abgeordneten noch umgab, welche diese Verfügung der Regierung diktiert hatte. Und vielleicht spielte auch der Hintergedanke mit, die vielen Gerüchte zu widerlegen, in denen von Gewaltanwendung und bewaffneter Einmischung die Rede war, Behauptungen, mit denen die Oppositionellen unter sich Schrecken verbreiteten.
    Bálint war im Parlament ein wenig verspätet angekommen. In der Garderobe hingen zahllose Überzieher und Hüte. Sie waren also alle schon da. Eilig ging er zum Lift und verließ ihn, oben angekommen, ebenso eilig. Erst später, als er an die Ereignisse zurückdachte, erinnerte er sich, dass alle unten, der Portier, die Bediensteten in der Garderobe, der Liftboy, ähnlich wie im Obergeschoss die Türsteher, irgendwie düster und besorgt geblickt hatten. Er hatte das damals nicht beachtet, sondern sich nur rasch aufgemacht, um in den Sitzungssaal zu gelangen.
    Im langen Korridor begegnete er keiner Seele. Der dicke Läufer, der den Boden vom einen bis zum anderen Ende bedeckte, dämpfte das Geräusch seiner Schritte. Totenstille. Wie in einer Gruft. Auch das überraschte ihn nicht, denn die dichten Vorhänge hinter der Glastür verschluckten jeden Ton, sodass draußen selbst von den lautesten Sitzungen nie auch nur ein Wort zu vernehmen war. Er öffnete die Tapetentür und trat ein.
    Ein unerwarteter Anblick bot sich ihm. Lediglich etwa dreißig Abgeordnete befanden sich im Saal, einzig die »Zoltáne«, wie man die blindwütigsten Oppositionellen nannte. Zwei machten sich auf dem Podium zu schaffen, sie schleuderten die Stühle des Vorsitzenden und der Protokollführer hinunter. Andere versuchten, die Leisten des hinaufführenden Geländers abzubrechen, wieder andere warfen die Möbel der Stenografen in die Saalmitte, wo man den »Tisch der Gesetze« bereits umgestürzt hatte; auch die Pulte der Minister und die Lehnstühle lagen kreuz und quer im Raum. Mehrere Leute, richtige Vandalen, schichteten sie unter großem Gelächter zu Haufen und freuten sich gewaltig über das wohlgelungene Zerstörungswerk.
    Sámuel Barra, einer der Anführer der äußersten Linken, stand unter sechs bis sieben Gesinnungsgenossen am Rand des Halbkreises. Sie bemerkten den sich nähernden Abády. Alle umstellten ihn. Sie genossen es offenbar, jemanden gefunden zu haben, der gerade erst angekommen war und dem sie von ihren großen Heldentaten berichten konnten.
    »Wir haben sie rausgeschmissen! Mit Ohrfeigen verjagt!«, lärmten sie und redeten wild durcheinander, da jeder bemüht war, die eigenen Taten hervorzuheben. »Hast du gesehen, wie ich ihm mit dem Tintenfass eins über den Kopf gezogen habe?« »Hast du gesehen, wie der sich krümmte?« »Aber die Maulschelle, die ich dem da drüben verabreicht habe, die war auch nicht schlecht.« »Eine richtige Schlacht hat hier stattgefunden, mein Freund!«
    »Die Saalwächter konnten doch nicht zurückschlagen, man hat es den Ärmsten verboten«, sagte Bálint, als er zu Wort kam.
    »Ach, wo!«, erwiderte Sámuel Barra. »Sie hätten schon zurückgeschlagen, fanden dazu aber keine Zeit, denn wir, mit der furchtbaren Kraft, die der Wahrheit der Nation innewohnt, und mit der glühenden Fackel der ungarischen Freiheit in der Hand, wir …« Und er begann einen jener selbstgerechten Quersätze, die seine Ansprachen vor allen Dingen auszeichneten. Er konnte aber nicht zu Ende sprechen, denn einer der dickbäuchigen Männer trat hinzu und unterbrach ihn: »Hast du

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