Die Schrift in Flammen
Der morgendliche Sonnenschein, der sich über die Uferpromenade ergoss, wurde von dem reinen Neuschnee zurückgeworfen, der alles wie ein Teppich überzogen hatte; das Licht fiel durch drei große Öffnungen ein, zwei Fenster und eine Tür in der Mitte. Nichts Dunkles gab es im weißgetünchten Raum, selbst die Schatten waren von mattem, hellem Blau, so wie der Schatten, den draußen das Haus warf und der bis zum Ufer des Szamos reichte.
Mit ihren weit ausholenden, jetzt aber selbstvergessen bedächtigen Schritten ging sie zur doppelten Glastür und blieb davor stehen. Sie streckte beide Arme aus und lehnte sich mit aufgestützten Fingern gegen die Türpfosten. Lange verweilte sie so. Sie bemerkte es nicht, als die alte Jungfer das Frühstück brachte, sie hörte kein Geräusch, als sie hinausging. Mit weit geöffneten Augen und verengten Pupillen schaute sie in die blendende Helle hinaus. Ihre Lippen standen leicht offen, als dürstete sie. Sie dachte nicht nach, sie blickte nur geradeaus vor sich hin. Die Worte, die Eindrücke und die Erinnerungen hatten sich in ihrer Seele noch nicht geordnet, sie waren noch nicht zu Begriffen und Sätzen geworden; sie schwebten nur ziellos wie Rauch, den der Wirbelwind treibt und auseinanderreißt, um dann die Fetzen wieder gegeneinander zu schleudern. Eine wohltuende Mattigkeit nahm ihr die Kraft, sie prickelte unter ihrer Haut. Wer weiß, wie lange sie dort gestanden wäre, hätte das Feuer im Kamin hinter ihrem Rücken nicht mächtig geknistert. Auf diesen Laut hin blickte sie zurück. Nichts von Bedeutung, nur das zuoberst liegende Scheit war geborsten. Und beim Anblick der Flammen fiel ihr ein, was Bálint gesagt hatte, und das wiederum erinnerte sie an ihr Kleid. Sachte musterte sie sich, ihren seidenen Rock, ihre entblößten Schultern und Arme. Mit einem Mal überkam sie das Gefühl, als stünde sie in dieser großen Helle ganz nackt vor den Glasscheiben. Hastig drehte sie sich um. Durch die völlig verdunkelte Schlafkammer hindurch eilte sie in das dämmrige Badezimmer, wo sie sich rasch entkleidete. Dies tat sie nur noch mechanisch. Als sie aus dem Bad zurückkehrte und sich niederlegte, war sie im Glauben, dass sie nicht werde einschlafen können. Sie sehnte sich auch nicht danach. Dieses sonderbare, berückende Gefühl, bar jeden Gedankens, war angenehm und betäubend. Sie verharrte auch jetzt mit offenen Augen, starrte in die Dunkelheit, in welche die Fensterspalten dünne Lichtstreifen ritzten. Doch sie blieb nur eine kurze Weile wach. Dann versank sie in einen traumlosen Schlaf, der alles auslöschte: jedes Bild, jedes Echo, jede Erinnerung.
Niemand hatte sie geweckt. Sie war selber erwacht. Die Turmuhr der Kirche in der Nähe schlug gerade drei. Während einiger Minuten starrte sie ins Dunkel. Dann schnürte ihr unerwartet eine panische Angst die Kehle zu. Sie wusste noch gar nicht, warum, doch ein Schrecken durchzuckte sie, unter dessen Wirkung sie sich im Bett aufrichtete und mit den Armen die Knie umklammerte.
Was war es? Was, was war in der Nacht geschehen?
Und auf einmal meldete sich alles mit Klarheit. Die Begriffe hatten sich während ihres Schlafs geordnet. Alles bekam Gestalt. Die Gedanken, die sie wachgerüttelt und jetzt überfallen hatten, bildeten nun eine vollständige Reihe.
»Ich bin verliebt! Verliebt! Verliebt!«, wiederholte sie für sich, und viel schneller als die ausgesprochenen Worte erschallten um sie die Rufe, die sie an all die Folgen dieses Gefühls gemahnten. Sie hat einen Gatten, ein Kind! Sie darf nicht! Sie hat sich schon gebunden, sich hingeworfen! Sie gehört einem anderen – jenem Mann! Es ist nicht mehr möglich, ihr nicht mehr erlaubt! Was soll daraus werden? Wohin würde das führen? Bálints Liebe ist keine Mondschein-Schwärmerei. Hinter jedem seiner Worte erklingt Sehnsucht, das ist nicht von der Art der klingelnden Flirt-Unterhaltungen, keine platonische Träumerei, sondern der zielbewusste Wunsch eines Mannes, der alles will und mit dem man nicht feilschen kann. Und sie hatte sich das angehört! Nicht nur das, sie hatte es auch akzeptiert. Gewiss, sie tat es nicht mit Worten, doch mit den Augen, dem Mund, dem Körper, als sie mit ihm tanzte, mit ihrem Schweigen und am Morgen vor dem Tor mit der ihm als Geschenk gereichten Hand. Sie verwahrte sich nicht, wies ihn nicht ab! Sie ließ es zu, dass er ihre Hohlhand küsste, so nahe zum Blut, im intimsten Winkel ihrer Handfläche. Und zuvor schon im Salon hatten sich die
Weitere Kostenlose Bücher