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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Comtesse Judith bringen.«
    »Wünschen Sie kein Mittagessen? Wir haben es auf die Seite gestellt …«
    Adrienne begann nun schon die Rolle zu spielen, die sie auf sich zu nehmen hatte, wenn sie vom Hausgesinde nicht verraten werden wollte.
    »Nein. Ich esse nichts, vielleicht nur eine Tasse Bouillon. Ich glaube, ich habe Fieber.«
    Nachdem man sie bedient und sie die Suppe getrunken hatte, schlief sie wieder ein. Sieben Uhr war schon vorbei, als sie bei der Ankunft ihrer Schwestern erwachte. Sie stellten sich schon im Ballkleid bei ihr ein – dies in der Hoffnung, sie könnten sie vielleicht mit Erfolg überreden, sie doch ins Casino zu begleiten.
    »Oh, mit Papa ist es so langweilig! Jemand anders haben wir nicht gefunden. Bist du wirklich so krank?« So redeten sie durcheinander, und zu dritt, zusammen mit der jammernden Mademoiselle Morin, umstellten sie das Bett. Adrienne lag unterdessen unbeweglich da. Mit frostigem Blick schaute sie aus ihren spitzenbesetzten Kissen. Sie war zufrieden, dass man, da die Kerze seitwärts stand, ihr Gesicht nicht sehen konnte.
    »Papa ist furchtbar bös. Aber außer ihm gibt es niemanden. Und zum Ball müssen wir unbedingt«, sagte Judith in besonders entschlossenem Ton, »ich bin beim Souper engagiert.«
    Als ob Margit etwas gewusst und ein klein wenig gelächelt hätte. Forschend fragte sie: »Hast du Aspirin oder Migrenin eingenommen?«
    Adrienne log ungern. Sie erwiderte deshalb streng: »So geht jetzt und lasst mich allein!«
    Sie brachen auf. Margit drehte sich bei der Tür um: »Wer war beim Nachtessen dein Partner? Ich würde ihn übernehmen, denn bisher habe ich noch keinen.«
    Adrienne antwortete nicht und blickte die kleine Schwester so zornig an, dass sie sich durch die Tür eilig verzog.

    Die Turmuhr schlug acht. Dann halb neun, hernach neun. Adrienne zählte die nachhallenden Töne. Eins … zwei … drei … vier … fünf … Nun sitzen sie schon beim Nachtessen. Halb zehn, zehn Uhr. Jetzt beginnt nach dem Souper der Csárdás. Hätte sie den Ball besucht, dann wären sie jetzt allein geblieben. Allein wie gestern Nacht. Allein mit ihm wie gestern.
    Sie heftete die Augen auf die Decke des dunklen Gemachs und brachte sich die vergangene Nacht in Erinnerung. Ganz scharf, ganz klar sah sie BAs Gesichts vor sich. Es war ein junges, aber festes, hart geschnittenes Gesicht mit einer dünnen, geraden Nase und einem schmalen blonden Schnurrbart. Dieser Schnurrbart ist wohl weich, ging es ihr unwillkürlich durch den Sinn. Und wie sein Haar glänzt, das er etwas länger trägt als die anderen Männer. Seidig war dieses Haar, wiewohl viel dunkler als der Schnurrbart. Allmählich erstand alles immer lebendiger: die auf sie gerichteten, weit geöffneten, stahlgrauen Augen des Mannes, der volle, zumeist ernste Mund, dem so berückende Worte entströmen konnten, und seine Hände! … Sie sah sie noch immer vor sich, als sie mit einer Geste in der Luft ihr, Adriennes, Fortgleiten auf dem Eis nachgezeichnet hatten. Ausdrucksstarke Hände, die den oft verhüllten Sinn ergänzten, Männerhände, obwohl auffallend klein, die hin und wieder mit dem Rhythmus der Sätze spielten; sie schleuderten die Worte fort, ergriffen sie wieder, beschrieben rauschend Halbkreise, wie das Zauberkünstler mit Bällen zu tun pflegen; es waren auch fordernde und schmeichelnde Hände, die mit langsamer Zielstrebigkeit suchten, sich ihren Frauenfingern und der Haut ihrer zurückweichenden Handfläche anpassten; und auch stark waren sie, diese wohlerzogenen Hände, die sie beim Tanz behutsam und doch entschlossen fassten – sie taten, was ihr Herr ihnen befahl, nicht mehr und nicht weniger, und sie wirkten mit irgendeiner unaussprechlich überzeugenden Macht, wenn man von ihnen berührt wurde …
    Und wie er sprach, wie er sprach! … Schön, so schön sprach er. So tief und feurig. Keiner kann so reden, dachte Adrienne. Allmählich erwachte in ihr die Sehnsucht, sie wünschte sich zurück. Warum auch hatte sie abgesagt? Warum hatte sie sich für diese Nacht eingeschlossen? Warum war sie nicht hingegangen, um BAs Worte zu hören, seine fesselnden Worte, bei denen sie spürte, dass sie aufrichtig waren und von Herzen kamen. Wer weiß, mit wem er nun zusammensitzt. Mit einer Frau, die ihn nicht versteht und seiner gar nicht würdig ist! Bestimmt zürnt er, denn er weiß nicht – kann es Gott sei Dank gar nicht wissen –, warum sie ihn heute Abend im Stich gelassen hat. Bei diesen Gedanken wurde sie

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