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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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nächtlichen Stunden begannen sich die Reihen zu lichten. Die beiden suchten nicht die Nähe des anderen, im Gegenteil, sie gingen einander aus dem Weg. Adrienne folgte dabei einzig ihrem Instinkt, Bálint dagegen mied sie mit Absicht. Keine Gerüchte sollten entstehen, dass er ihr den Hof mache, keine Klatschgeschichten über Adrienne. Doch sie mieden einander vergeblich. Irgendwie ergab es sich, dass sie – überall im Ballsaal, beim frühmorgendlichen Buffet, im Salon, ob in kleiner oder großer Gesellschaft, ob mit Frauen oder Männern – nach kurzer Weile immer nur zu zweit blieben, als vereinte sie ein unsichtbares Band, als triebe ein Zauber die anderen von ihnen fort. Dann wechselten sie leise einige nichtssagende Worte: »Ein sehr schöner Ball!« »Die kleine Dodó ist heute besonders hübsch.« »Alvinczy leistet sehr gute Organisationsarbeit.« »Ich mag diesen alten Walzer.« Derartige Dinge sagten sie einander. Jeder hätte zuhören dürfen, selbst Pali Uzdy. Banaleres hatte nie jemand ausgesprochen. Zwischen ihnen und um sie beide zitterte aber unsichtbar ein verzauberter Strom, er bedeckte und hüllte sie ein, trennte sie von den anderen, nur sie beide waren da – wie in einer unbewohnten Oase inmitten von Wüsten. Und die Worte, die ihre Lippen manchmal verließen, waren gleichgültig und bedeuteten nichts. Nur eines: du, du, du. Keiner der beiden dachte über diese Bedeutung nach, sie verspürten nur die Nähe des anderen und eine seltsame, glückliche Verwunderung, die zu fragen schien: Wie denn, du bist da? Da, neben mir? Und jedes Mal, wenn sie sich anblickten, erfüllte sie die Entdeckung stets von neuem mit Freude, als glaubten sie gar nicht an diese Wirklichkeit.
    Die Welt war für sie dermaßen stehengeblieben, dass es sie beinahe wie eine Überraschung traf, als der Ball gegen acht Uhr zu Ende ging. Erst jetzt, in der Menge der sich zum Aufbruch rüstenden Mädchen und Mütter, während die zahlreich wartenden Diener aus dem Vorzimmer schon die Pelze und die Kopftücher der Damen holten und überreichten, und als manch junger Herr sich eifrig darum bemühte, die beim Kotillon gemachte Beute seiner Umworbenen, Blumenbuketts ohne Zahl, herbeizuschaffen und zu behüten – erst da kam ihnen zu Bewusstsein, dass die Nacht vergangen und draußen der Morgen hereingebrochen war.
    Adrienne bestellte ihre Schwestern zu sich. Margit kam gleich, doch Judith musste man suchen und aus dem kleineren, halbdunklen Raum herausrufen, wo sie sich, an einen Tisch gelehnt, mit Egon Wickwitz unterhielt.
    Viele begleiteten sie hinaus ins Vorzimmer: Abády, Wickwitz, Baron Gazsi und Farkas Alvinczy, die Organisatoren des Balls, dann Ádám, der andere Alvinczy-Bruder, und natürlich auch Pityu Kendy. Nachdem sie sich zur Abfahrt zurechtgemacht, die Damen sich in Umhänge und Tücher gut eingewickelt hatten, und nachdem vom Eingang her das Gerassel der rasch vorfahrenden Kaleschen ertönt und ein Diener heraufgeeilt war, um zu melden, es stehe nun alles bereit, machten sie sich auf den Weg hinunter. Sie stiegen langsam hinab, Adrienne an Bálints Arm. Wie leicht ihre Hand war! Wie vertrauensvoll ruhig sie schien! Als schritten sie immer noch in einer Welt des Traums. Und doch galt es nun, voneinander Abschied zu nehmen. Doch es wird ein Morgen geben, morgen findet der nächste Ball statt. Die Zeit bis dahin soll man durchschlafen, das ist alles. Dann würden sie wieder beisammen sein – während der ganzen langen Nacht.
    Vor der Falltür verabschiedeten sie sich. Den Mädchen gebührte ein Händedruck, den Frauen ein Handkuss.
    Bálint kam als Letzter an die Reihe. Als er Adriennes ihm gereichte Hand ergriff – sie hatte den Handschuh vor der Abfahrt nicht mehr übergestreift –, da war ihm, als durchliefe nach einem Schlag elektrischer Strom seinen Arm von unten nach oben. Er beugte sich über die Hand, küsste sie aber noch nicht.
    »Nicht dort, wo die anderen«, murmelte er rasch. Jäh drehte er den Handrücken um, und seine Lippen küssten die weiche Hohlhand der Frau. Die Hand leistete keinen Widerstand. Vielleicht gab es dazu auch keine Zeit; das Ganze dauerte nur einen Augenblick. Die Damen schritten durch die breit geöffnete Falltür und bestiegen die Kutsche. Der Türflügel des Wagens klappte zu, und die Pferde stampften los. Die anderen jungen Herren liefen hinauf, um sich von weiteren Damen zu verabschieden. Bálint blieb unten beim Treppenabsatz allein. Er spannte sich, richtete sich auf. Mit

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