Die Schrift in Flammen
oder in der Hüfte zu drehen. Nach dem Händedruck stellte sich Bálint allen vor, die er bisher noch nicht gekannt hatte, und dann setzte er sich neben László Gyerőffy im äußeren Ring.
»Wieso, warum ›dein Abgeordneter‹, lieber Obergespan?«, ertönte eine zänkische Stimme. Sie gehörte Vizegespan Ördüng auf der anderen Seite des Tisches.
Ördüng, der der Opposition zuneigte, zürnte dem Obergespan und der Regierung auch darum, weil er zu einem vornehmen, alten Geschlecht in Marostorda gehörte, zur Familie Ördüng von Ördünglóna, während Péter Kis der Sohn irgendeines Kurzwarenhändlers war, den man aus der Fremde, aus Gyergyó hergeholt und ihm vor die Nase gesetzt hatte. Sie standen sich deshalb noch feindseliger gegenüber, als dies zwischen Vizegespanen und Vertrauensleuten der Regierung gewöhnlich der Fall ist, denn diese kommen und gehen, heute sind sie hier und morgen wer weiß wo, während der Vizegespan ein vom Komitat gewählter Amtsträger ist und – sofern er mit seinem Publikum klug umgeht – dies bis zu seinem Todestag bleiben kann.
»Lélbánya ist schließlich in meinem Komitat«, erwiderte der Obergespan in gewollt bescheidenem Ton und mit leicht gezwungener Gemütlichkeit.
»Abgeordnete hat das Volk, haben die Wähler«, rief Zoltán Varju dazwischen.
»Oder die Stadt und das Komitat«, ergänzte der alte Bartókfáy.
Der Obergespan versuchte indessen, sich dem Disput zu entziehen: »Ich meine, er sei mein Abgeordneter, weil ich ihn sehr gernhabe.«
»Das klingt sehr absolutistisch, wie wenn ihn bloß die Regierung ernennen würde! Dieses Lied kennen wir schon!«, fuhr Varju fort.
»Er ist schließlich mit einem 67-er Programm aufgetreten«, verteidigte sich Péter Kis.
»Aber er ist parteilos, und das bedeutet so viel, dass er das Verhalten der Regierung und der Tisza-Partei nicht billigt!«, argumentierte Zoltán Varju und wandte sich um, zu Abády, der gleich hinter ihm saß: »Nicht wahr, ich habe recht, Herr Graf?«
»Ich bin zu sehr Anfänger, als dass ich da ein Urteil fällen könnte«, antwortete Bálint ausweichend.
Jetzt meldete sich der Hausherr: »Bravo, Vetter! Klug gesagt. Siehst du, auch ich urteile nicht, darum stehe ich auf gutem Fuß mit den Wachhunden« – und hier zeigte er nach rechts und dann nach links – »und auch mit den Wölfen. Ich verstehe aber nicht, warum ihr einander anfeindet, meine Herren«, so fuhr er fort, »wo doch der alte Thaly den Frieden wiederhergestellt hat. Der Fluch, der über den Ungarn liegt, ist vorbei, jetzt gilt es, einander zu umarmen!«
Janő Laczók breitete bei diesen Worten die Arme merkwürdig aus, dann zog er sie zurück und presste sie an den eigenen Leib, öffnete und schloss sie erneut, und dabei wiederholte er mehrmals: »Umarmen! Umarmen, meine Freunde, umarmen!«
Dann brach er in spöttisches Gelächter aus und griff nach dem Glas: »Lasst uns auf diesen feinen und klugen Frieden trinken. Hoch, hoch, hoch!«
Mit diesem Hinweis auf den unlängst geschlossenen parlamentarischen Frieden zog er natürlich die Schleusen der politischen Diskussion abermals hoch.
Das leidenschaftliche parlamentarische Wortgefecht hatte nämlich erst im Frühling geendet. Ausgelöst hatten es die Vorschläge zum Wehrgesetz, und bei dem vielschichtigen rechtlichen Verhältnis, das Ungarn und Österreich verband, fanden sich immer wieder Anlässe, sich wegen Rechtsbeugung zu beschweren. Die oppositionellen Parteiführer verurteilten zwar grundsätzlich die technische Obstruktion, die in den letzten Monaten nur noch eine kleine Gruppe innerhalb der 48-er Partei eigenmächtig fortsetzte. Mit Blick auf ihre Popularität fühlten sie sich aber gezwungen, sich zu deren Zielen zu bekennen. So stellten sie Forderungen in unterschiedlichem Ausmaß nach einer ganz eigenständigen Armee, zumindest aber nach der ungarischen Kommandosprache oder zuallermindest nach Degenquasten in den Nationalfarben für die Offiziere, und da auch die Öffentlichkeit von ihnen mit solchen Schlagworten gefüttert worden war, standen sie natürlich der kaum zwanzig bis fünfundzwanzig Köpfe zählenden abtrünnigen Gruppe ohnmächtig gegenüber. Diese, von Ugron und Sámuel Barra geführt, hatte sich von der Partei getrennt und nutzte alle Schwächen der alten, sozusagen patriarchalischen Hausordnung, indem sie durch ständige Namensabstimmungen, um Personen geführte Diskussionen und geschlossene Sitzungen jede gesetzgeberische Arbeit, die
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