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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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ermangelt.«
    Der wohlformulierte Vortrag besänftigte ein wenig die Gemüter, und als der Anwalt eine kurze Pause einlegte, meldete sich Istike Kamuthy zu Wort. Er lispelte leicht, warf aber trotzdem schnell ein: »Ich glaubte in Bürgöfd zu Haufe, ich fei ein Efel, dabei dachte ich daf genau Gleiche. Jetzt fehe ich, daff ich doch nicht fo ein Efel bin.«
    »Du hattest in Bürgözd recht«, versetzte hierauf Kajsza, der bisher kein Wort gesprochen hatte. Hierauf erschallte ein großes, allgemeines Gelächter. Istike begriff zwar nicht, worüber man lachte, stimmte aber gleich selber ein.
    Nachdem die Heiterkeit sich gelegt hatte, fasste Bankdirektor Soma Weissfeld angesichts der milderen Stimmung den Mut zu einem Einwand: »Das Wirtschaftsleben, bitte sehr, kann nicht warten, bitte sehr. Unzählige überaus ernsthafte Interessen, Fragen von Handelsmärkten und Beziehungen, bitte sehr, stehen auf dem Spiel, die, sollten sie verlorengehen, einen volkswirtschaftlichen Schaden verursachen würden. Darum, bitte sehr, obwohl auch ich die Ungesetzlichkeit anerkenne, muss man doch in Betracht ziehen …«
    »Et si fractus illabatur orbis!«, rief der alte Bartókfáy dazwischen, und damit kam die juristische Diskussion erneut in Gang.
    Bálint erhob sich ohne Aufsehen, berührte László Gyerőffy, seinen Nachbarn, leicht an der Schulter und trat unter dem Laub der Linde hinaus. Der engstirnige, fruchtlose dogmatische Disput ärgerte ihn, dieser Wortwechsel, bei dem selbst der Obergespan immer nur Ausflüchte suchte und gleich wie seine Gegner mit Rechtsformeln jonglierte. László schloss sich ihm an.

    Langsam durchschritten sie den inneren Garten. Es begann zu dämmern. Eine schmale Tür befand sich an der Wehrmauer zwischen der äußeren kleinen Eckbastei und der Fassade des Bibliothekflügels. Von hier führten einige Stufen hinunter in den Rosengarten. Sie nahmen diesen Weg.
    Solange sie den einstigen Burghof nicht durchquert hatten, verlor keiner der beiden ein Wort, als würde ihr Freundesgespräch jetzt, da sie sich nach mehreren Monaten wiedertrafen, einen intimeren Rahmen erfordern. Bálint stand immer noch unter dem Eindruck des eitlen Wortgefechts von zuvor, vor dem er zu flüchten suchte. Das endlose unnütze Gerede weckte in ihm unwillkürlich Gedanken an seine Erfahrungen in der Fremde. Er vergegenwärtigte sich die emsige Arbeit, die gerade jetzt in den außenpolitischen Abteilungen zur Vorbereitung eines Handelsabkommens mit Italien im Gange war. Und er dachte an die kaum verhüllte Verachtung, mit der Ausländer, vor allem Großdeutsche, über die ungarische Wehrgesetzdebatte zu spotten pflegten. Da standen, wie sie sagten, die Fortdauer des Dreibunds, das Ansehen und damit die Sicherheit der Monarchie auf dem Spiel, und die Ungarn behinderten die Lösung.
    Ausländern, welche die ungarische Vergangenheit gar nicht kannten, kam das unverständlich vor. Sie begriffen nicht, warum man die Frage der Landesverteidigung in Ungarn so feindselig betrachtete. Bemerkungen dieser Art hatten das glühende Nationalgefühl Bálints immer sehr gekränkt.
    Gyerőffys Gedanken waren anderswo. Die Diskussion unter der Linde hatte ihn in keiner Weise betroffen. Er hatte nicht einmal gehört, was dort geredet wurde. Ihn nahm etwas völlig anderes in Beschlag. Als er zuvor beim Rennen und jetzt hier in Vársiklód mit dem Kreis seiner siebenbürgischen Verwandten und Bekannten wieder zusammengetroffen war, mit Menschen, von denen er sich in den letzten Jahren immer stärker gelöst hatte, erwachte in ihm erneut das Gefühl der Heimatlosigkeit. Es begleitete ihn eigentlich überall. Draußen in Budapest und bei den dortigen Verwandten verspürte er das Gleiche. Er trug es an allen Orten mit sich, als wäre das einstige Waisenkind ein ständiger Begleiter des nun schon erwachsenen Jünglings geblieben. Er war nirgends zu Hause, nicht hier und nicht dort. Irgendwie sah man in ihm überall einen Fremden, einen Ankömmling anderer Art.
    Dabei sehnte er sich so sehr danach, geliebt zu werden. Doch man sollte ihn nicht als den schwungvollen Pianisten lieben, der jederzeit einen Walzer oder Foxtrott vortragen und so zum Tanz aufspielen konnte, nicht als guten Tänzer und auch nicht als verlässlichen Schützen auf der Jagd oder als Vierten bei der Tennispartie, nein, ihn selbst, nicht seine Nützlichkeit. Die Kollonich- und Szent-Györgyi-Verwandten, die Jungen und die Mädchen in der Familie seiner Tanten in Westungarn, freuten

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