Die Schrift in Flammen
zuoberst. Davon hatte sich Klára eine Blume herausgezupft und sie sich als Zeichen der Ergebenheit an die Brust geheftet. Zorn überflutete Fürstin Ágnes. Wie gut, dass die Treppe über so viele Stufen führte; beim Hinaufgehen vermochte sie sich allmählich zu zügeln. Oben angelangt, wünschte sie in gleichmütigem Ton gute Nacht. Doch es gelang ihr nur so weit, sich zu beherrschen, Klára wie sonst auf die Stirn zu küssen und sich in ruhiger Haltung ihrem Wohntrakt zuzuwenden. Über den nächsten Tag sagte sie nichts – aus Angst, die Stimme könnte ihren Zorn verraten.
Gegen Mittag am nächsten Tag meldete sich Ilus, das kleine Stubenmädchen, Kláras persönliche Zofe. »Die gnädige Frau Fürstin bittet Sie zu sich«, sagte sie ängstlich und stellte sich neben den Türflügel, um der Herrin den Vortritt zu lassen.
Klára machte sich erschreckt bereit. Tosend erhob sich in ihr die Gewissheit: Jetzt also würde die Entscheidung fallen. Die ganze Nacht hatte sie schon die Frage gewälzt. Wie wird es dabei zugehen? Was sollte sie sagen, wie antworten, wenn man von ihr Rechenschaft fordert? Ach, warum war sie nicht selber früher schon vorgetreten, so wie sie sich das so oft ausgemalt hatte, warum dieses Warten bis heute? Nun ließ man sie als Angeklagte kommen, und sie würde als solche sprechen müssen, statt dass sie die bestgeeignete, vorteilhafteste Minute selber bestimmt hätte; jetzt hat sie der Stiefmutter allein, unter vier Augen Rede und Antwort zu stehen. Wie ein Kind, das man bei einer Missetat ertappt hat, so muss sie ihr begegnen. Wenn es irgendwie geht, und vielleicht ist es noch möglich, würde sie dem Thema ausweichen. Und wenn nicht? Was dann? Dann, geschehe was wolle, wird sie auch in dieser benachteiligten Lage die Schlacht durchstehen. Zwar wird es so viel schwerer, aber einerlei! Sie hält durch, sie wird durchhalten! … Besser wäre es auszuweichen. Besser, die Sache vor Papa bei dessen erster Zigarre zur Sprache zu bringen, ja, das wäre besser, viel besser! Sie fühlte die eigene Aufregung, als steckte ihr ein Ball in der Kehle. Sie musste all ihre Kraft sammeln, ehe sie vor Mama Ágnes trat. Um dazu Zeit zu gewinnen, blieb sie vor Ilus stehen.
»Sag mir mal, Ilus, warum bist du immer so traurig?« Das war ihr erst jetzt aufgefallen, obwohl das Mädchen zu ihrem innersten Kreis Zugang hatte. Trotzdem bemerkte sie ihre Schwermut erst, als sie nun selber in Nöten war. Die kleine Zofe blickte Klára an, dann schlug sie die Augen wieder nieder.
»Ich bin’s nicht, bitte, wirklich nicht«, erwiderte sie abwehrend, um dann ihre verneinende Antwort gleich zu widerlegen: »Die Menschen sind so böse.« Nach dieser Fortsetzung verstummte sie verstört.
»Bist du etwa verliebt?«, fragte Klára und verspürte eine große Zuneigung zum Mädchen.
»Oh, nein! Wie sollte ich? Oh, nein!« Ilus errötete, und ihre Augen wurden womöglich noch trauriger.
Klára streichelte das Gesicht der kleinen Zofe. Es tat ihr wohl, in der Sehnsucht, dem Leid und der Liebe eine Genossin gefunden zu haben. Durch dieses Gefühl der Gemeinsamkeit irgendwie gestärkt, überquerte sie nun ruhiger den Korridor und öffnete die Tür zu Frau Kollonichs Räumen.
Das Schlafzimmer der Fürstin Ágnes in Budapest glich demjenigen auf dem Land aufs Haar – mit dem einzigen Unterschied, dass dieses hier himbeerrosa, jenes in Simonvásár aber gelb war. Am Fuß des Betts stand auch hier ein länglicher Diwan, und Fürstin Ágnes saß jetzt ebenso in dessen Mitte. Ihre Miene wirkte sehr streng.
»Setz dich, meine Liebe«, sagte sie und wies auf den Stuhl ihr gegenüber, »ich will dich etwas fragen.« Sie wartete ab, bis das Mädchen Platz genommen hatte, fügte einige Minuten hinzu, dann stellte sie die Frage: »Was ist gestern zwischen dir und Fürst Montorio geschehen?«
»Nichts«, antwortete Klára, »eigentlich nichts.«
Eine von Frau Kollonichs Augenbrauen glitt zweifelnd zur Stirn hinauf. Ihre Augen verengten sich. Sie wartete abermals zu, wartete auf die Antwort. Sie wusste, dass sie kommen würde, wenn sie selber nicht sprach. Und Klára setzte ihre Rede nach einigem Zögern tatsächlich fort: »Nur so viel, dass er mich nach dem Souper einlud, mit ihm in den Garten hinauszugehen. Ich wollte nicht.«
»Und …«
Das Mädchen flocht ihre Finger nervös ineinander.
»Ja. Das ist alles. Nur so viel.« Dann fügte sie hinzu: »So etwas ziemt sich vielleicht auch nicht …«
Frau Ágnes zuckte die Achseln.
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