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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Hecken seine Phantasie nicht reizten. Hier dagegen fühlte er sich in einer richtigen Wildnis, die von breiten Heuwiesen und Feldern mit Luzernen unterbrochen wurde; im Dickicht überragten unzählige gewaltige Pappeln die Weiden und die Faulbäume im Unterholz; Eichen mit weit gespreizten Ästen, Eschen und Erlen wuchsen da kreuz und quer, wie es der Natur beliebte. Enge, grasbewachsene Wege schlängelten sich durch das dichte Gehölz, manchmal verengten sie sich zu kaum noch sichtbaren Pfaden. Hierher war er einst entflohen, sooft es sich machen ließ, um ganz allein Indianerspiele zu spielen. Auf allen vieren robbte er im Schierling-Dschungel vorwärts, der ihn damals turmhoch überragte, er arbeitete sich vor, ganz nahe an die Räuberschar, flüchtete vor den Verfolgern, duckte sich spähend unter Dornbüschen, kletterte auf Äste, um die Lage zu erkunden und den feindlichen Häuptling oder den Anführer der Bleichgesichter ins Herz zu treffen, wie er es in den Erzählungen Coopers gelesen hatte.
    Ihm schien nun, er habe diese Bilder wiedergefunden. Durch den schilfbewachsenen Hain und quer durch die große Wiese schritt er zur anderen Seite, wo sich das Dickicht das freie Flussbett entlang unregelmäßig ausbreitete und über morastige, von Sauergras bedeckte Stellen den kurvenreichen Rinnsalen folgte. Er durchquerte die wohl hundert Joch umfassende Heuwiese. Über dieses Feld hinweg setzte sich die Aussicht vom Schloss her fort bis zum geschlossenen Wäldchen drüben, das am anderen Ende eine Mauer bildete. Näher und dann wieder entfernter erhoben sich darin vereinzelte Gruppen von Schwarztannen. Sie waren jung, erst etwa dreißigjährig. Sein Vater hatte sie setzen lassen – als Schmuck und auch als Schutz für das Wild. Ein Ring von Fliederbüschen umfing sie am Fuße. Der Efeu war in voller Blüte, mitten aus seiner violetten Weichheit schoss das rußfarbene Astwerk der Tannen empor. Sie blühten dabei ebenso, dunkle, purpurne Zäpfchen steckten am Ende jedes Zweigs, die aber nur aus der Nähe sichtbar waren. Die ebene Wiese wirkte beinahe grau vor dem morgendlichen Dunst und dem Tau, ein dünner, dämmriger Schleier bedeckte sie, der hin und her zu schweben schien; der eine oder andere Fetzen blieb am Schlehdorn hängen, der an den Rändern wuchs, und das feine Nebeltuch verwischte den Stamm der entfernt stehenden Bäume, als schwebten die Baumriesen über der Leere, als gäbe es nichts, was ihre unzähligen Äste und ihre reiche Laubkrone festhielt – Traumbäume, als ob auch sie von Dunst gebildet wären. Die tief stehende Sonne berührte sie erst am Rand, sie ließ das eine oder andere Blatt aufleuchten wie einen kleinen Spiegel.
    Bálint blieb stehen und blickte über die Wiese. Wie geheimnisvoll dieser Morgen war! Als wären die Abstände in der weiten Entfernung noch größer, noch entfernter. Die durch übertriebene Zwischenräume voneinander getrennten Baumgruppen kamen ihm wie flache Kulissen vor; der Park schien auf solche Art unendlich, als umfasste er die ganze Welt. Und wie er da reglos die Landschaft bewunderte, tauchten in der Ferne hinter einer von Flieder umgebenen Tannengruppe sieben Damhirsche auf: zwei Hirschkühe mit je einem Kalb und drei Jungtiere. Langsam bahnten sie sich den Weg im frühmorgendlichen Dunst. Sie bemerkten ihn nicht. Ruhig nahmen sie ihren Weg dem Wald zu, wo sie sich bald im dichten Gehölz verloren. Ihr Erscheinen und Verschwinden betonten noch die Rätselhaftigkeit der Morgendämmerung. Der junge Mann ging weiter.
    Vorwärtsschreitend in dieser Schönheit, im taunassen Gras, erwachten in ihm nun doch nicht nur Kindheitserinnerungen. So hatte er damals die Flusslandschaft nie gesehen. Sie spiegelte nicht das Bild jener Zeit. Das hier war etwas anderes. Tiefer, lebendiger, geheimnisvoller, erhabener. Und wie er dahinschritt, überkam ihn plötzlich das Gefühl, Adrienne gehe an seiner Seite.
    Er sah sie förmlich neben sich, wie sie ihre weit ausholenden Schritte machte, über dem leicht mageren Hals das Kinn hob und ihrschwarz wallendes Haar sich nach oben bog, so wie er sie in Mezővarjas beobachtet hatte, damals bei der Verfolgung des Pferdes. Hier ging sie nun in gerader Haltung neben ihm, blickte mit den weit geöffneten topasgelben Augen einzig vor sich hin, und sie ging und ging wortlos und an seiner Seite …
    Bálint blieb stehen. »Nein! Nein!«, sagte er beinahe laut und schüttelte den Kopf, als wollte er Adriennes Bild daraus fortschleudern. Dann

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