Die Schrift in Flammen
setzte er den Weg in den Wald eilig fort. Dort am Rand einer kleinen Wiese kannte er eine uralte Pappel. Nach einigen Minuten erreichte er die Stelle. Der greise Baum war immer noch am Leben. Nur einer seiner großen Seitenäste war herabgefallen. Ein Aprilsturm musste ihn weggerissen haben, denn seine Zweigchen steckten voller klebrig nasser Knospen, aus einigen, die aufgebrochen waren, sprossen auch Blätter. Es war ein langer, dicker Ast; seine Spitze war unter den Weiden der Umgebung aufgeschlagen, sein dickes Ende lag bei den Wurzeln; der reich verzweigte Mittelteil ruhte in dem mittlerweile hochgeschossenen Gras.
Bálint ging zum Baum, und er legte, als wäre er ein guter Freund, die Hand auf seine Rinde. »Gibt es dich noch? Hat man dich gerupft?«, fragte er, setzte sich auf das zersplitterte Ende des Astes und blickte hinaus auf die kreisförmige und geschlossene Wiese.
Dies war sein bevorzugter Platz gewesen zur Zeit, als man ihm schon erlaubt hatte, allein etwas weiter auszureiten. Natürlich mit der alten »Gambia«. Er stelle sein Feldlager auf, dies hatte er hier damals gespielt. Er nahm das Zaumzeug vom Pferd und hängte es an einen hohen, knotigen Ast – niemand sollte es stehlen können! Den Sattelgurt löste er nicht, obwohl auch das zur Rast auf dem Lagerplatz gehört hätte, doch er war draufgekommen, dass ihm dazu die Kraft fehlte. Dann versuchte er, ein Feuer anzuzünden, was sich als kein leichtes Unterfangen erwies, sowie am Spieß Speck zu braten, was fast niemals gelang. Das freundliche, kluge Pferd graste inzwischen still, es entfernte sich von ihm nicht weiter als zehn bis fünfzehn Schritte, und manchmal schien es zurückzuschielen, als bewachte es ihn. Der Junge stellte sich vor, dass er von einer mächtigen Armee umgeben sei, von einer Kuruzenarmee, versteht sich, in der er einmal ein großherumkommandierender Brigadier war und ein andermal ein namenloser Held, so in der Art des Miklós Toldi, den keiner kannte und dessen Beherztheit als Kämpfer sich erst am nächsten Tag in der Schlacht erweisen würde. Die Mücken fraßen ihn schier auf, aber auch das gehörte zu den Unberechenbarkeiten der Kriegsführung.
Lange saß er da. Unendliche Stille herrschte. Allerlei Vogelstimmen nur vernahm man, hunderterlei Pfiffe und Piepstöne. Amseln riefen einander zu. »Si-si-si«, sangen die Meisen, während sie in ewiger Unrast selbst die dünnsten Ästchen erforschten. Auch Pirole ließen sich hören, als sie einige Male in welligem Flug über die Wiese hereingeschwebt kamen; Rohrsperlinge zwitscherten, und Schwarzstirnwürger sangen in der Nähe im Gestrüpp. Irgendwo, weiter entfernt, schlugen Nachtigallen. Und diese Vielfalt der Stimmen unterbrach die Stille nicht, sondern betonte erst recht ihre Unberührtheit.
Zu viel Laub auf den Bäumen, zu dicht das Gewirr der Pflanzen im Unterholz, zu viele Blumen im Gras, und wie wenn die Natur die eigene Üppigkeit nicht zu meistern vermöchte, schwammen schäumend selbst in der Luft weiße Flaumbälle, die von den verblühten Pappeln stammten, wie Schneeflocken schwebten sie einmal auf- und dann wieder seitwärts, je nach den Launen eines langsamen Windhauchs – wie verzaubert, so leicht schwebten sie, und so war selbst die Luft blumengeschmückt, vom überreich verschwenderischen Frühling erfüllt, mit zart weichen, kleinen Quasten bestreut. Turteltauben gurrten wollüstig, verliebt und ausdauernd irgendwo weit oben auf der hohen Silberpappel.
Wie schön, wie wunderbar ist das, sagte sich Bálint, und als er sich diesem Gefühl überließ, ging ihm der Gedanke durch den Kopf: Wie schade, dass all dies hier außer ihm niemand sah, niemand sehen konnte; dass er es niemandem zeigen durfte, der ebenso hingerissen wäre wie er selber. Und wie er sich diesen Gedanken zurechtlegte, meldete sich von neuem Adriennes Bild, als wollte sie sagen: »Und ich? Ich bin da, ich würde alles verstehen …!«
Bálint erhob sich ärgerlich. Er disputierte mit sich selber, führte Gründe an. »Schon wieder? Nein! Ich will’s nicht, ich will mich davon befreien!« Er verließ die Wiese, welche die Erinnerung an Adrienne geweckt hatte, und durch das Unterholz stampfend öffnete er sich den Weg in den dichten Wald.
Was soll dir das? Wozu diese Frau erlegen, die noch nicht einmal eine richtige Frau ist? Wozu die Verantwortung auf sich laden, sich verpflichten, wozu ein solches Abenteuer beginnen, das hundert Verwicklungen brächte und aus dir einen Sklaven
Weitere Kostenlose Bücher