Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
drängten sich darin eng aneinander, als wollten sie ein Geheimnis hüten, Schlüsselblumen setzten goldene Pünktchen zwischen dem Blau der Glockenblumen und den dünnen Stielen, den zitternden, münzenartig flachen Blättchen von Johannisblume und Binse. Und ein Tautropfen funkelte an der Spitze jedes Grashalms – überblickte man die ganze Aussicht, so schien es vor so viel Tau, als läge ein Dunstschleier über der Wiese.
    Für Bálint war diese Blumenpracht neu. Während seiner Gymnasialjahre, in seiner Studienzeit an der Universität und während der Vorbereitung auf den Diplomatenberuf sowie später im Auslandsdienst war er vor Ende Juni nie nach Hause gekommen. In diesem reichen Blumenschmuck hatte er den alten Park nie gesehen, und nun kam es ihm vor, als hätte sich sein altes Zuhause ihm zu Ehren derart festlich gekleidet. Als würde es sich seinetwegen freuen und ihn feiern. Dieser Spätfrühlingsmorgen barg etwas Erhebendes und Betäubendes zugleich. Die Strahlen der tief stehenden Sonne drangen hier und dort durch die Pappelgruppen; was auf ihrem Weg hinter ihnen lag, tauchten sie in eine leichte Nebeldecke, und worauf sie trafen, das entzündeten sie in helles Licht, als wollten sie es zeigen – schau her, wie reich hier das Laub und wie blass dieser Stamm ist, wie weiß die Kastanienkerzen schon leuchten, wie Millionen von Knospen die Linden bereits vergolden, und sieh dir den Schnee der schlanken Akazien an, die zu blattlosen Blumensträußen geworden sind!
    All dies wirkte so reizend, dass er den Weg verließ und quer durch die Wiese schritt. Das Gras war so nass, als ginge er in einem Bach. Berührte er mit dem Knie pfeilartig hochgeschossene Pflanzen, Wildhafer, Riesensüßgras oder Wiesenschwingel, dann ließen sie alle wie kleine Brausen Tropfen fallen, und die Stengel schnellten erleichtert empor, als wären sie stolz, dass Bálints Bein sie gestreift hatte. Bis zum Knie durchnässt, erreichte er die Linden auf der anderen Seite der Wiese. Nun erwachten alte Erinnerungen in ihm. Hier, in dieser jahrhundertealten Allee hatte man ihm in seiner Kindheit Reitunterricht gegeben. In alter Zeit, als man die Linden gepflanzt hatte – es mochte dreihundert Jahre her sein –, reichte die Allee bis zum Fuß des Burghügels; bei einer Brücke, die weiter oben gestanden sein musste als die heutige »bunte Brücke«, vereinigte sie sich sternförmig mit zwei weiteren von Bäumen gesäumten Wegen. Als aber zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts die Mode des englischen Parks aufkam, ließ Bálints Großvater das innere Drittel der Baumreihen fällen, um auf diese Weise in der Nähe des Schlosses eine breite, nicht durchbrochene Wiese zu erhalten, da doch der englische Park jede gerade Linie verbot. Die mittlere Baumreihe maß aber immer noch fünf- bis sechshundert Meter, der Boden war weich planiert, hier hatte man den kleinen Jungen auf winzigen Ponys reiten lassen, hier galoppierte er neben dem Stallmeister auf und ab, wohl zehn- oder zwanzigmal.
    Mein Gott, wie oft ich da hinuntergeplumpst bin, dachte Bálint, während er die Allee entlangblickte. Denn die gedrungenen, untersetzten Tiere, auf denen er als Kind geritten war, erwiesen sich als widerspenstige und tückische Pferdchen. Das gute Futter und die geringe Arbeit hatten sie furchtbar frech gemacht. Ja! Bei diesem knorrigen Baum bockte immer »Croque-en-bouche«, sein erstes Reitpferd, auf dem er zuerst auf einer Decke und ohne Steigbügel ritt. Dort, bei der dicken Linde mit dem Riss am Stamm, blieb »Morzsa« stets störrisch stehen, der kleine, dicke Falbe, sein zweites Pferd, und rührte sich nicht, bis ihm der Stallmeister mit seiner Jagdknute eins über die Hinterbacke knallte. Bálint schritt unter dem Gewölbe des Blätterwerks den Weg hinunter. Über seinem Kopf rauschte leise das Laub, vom frühmorgendlichen Wind bewegt, der nur oben wehte; unten regte sich kein Lüftchen und kein Blatt, ihn aber umfingen immer zahlreicher die alten Erinnerungen. Wie unendlich lang war ihm diese Allee vorgekommen, als er sich auf sein erstes großes Pferd hatte setzen dürfen, auf die alte »Gambia«.
    Am anderen Ende der vor Jahrhunderten gesetzten Lindenreihe erreichte er einen Arm des Aranyos, der vom unteren Damm herkam. Ohne hier zu rasten, ging er hinüber auf die weitläufige Insel, die man Nagyberek nannte. Als Kind hatte es ihn immer hierhergezogen, statt zum inneren Park, dessen gepflegte Wege, Rasenflächen und mit Zierpflanzen geschmückte

Weitere Kostenlose Bücher