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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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ragten zwischen den Ritzen der Jalousien ins runde Turmzimmer, leuchtende Stäbe, die das Dunkel durchdrangen und auf der anderen Seite gegenüber die Metallfiguren auf den Beschlägen des Schubladenkastens zum Funkeln brachten. Das Zimmer wirkte umso dunkler; von den dünnen, durchsichtigen und glänzenden Goldruten durchstochen, schien es fast wie von Dampf ausgefüllt. Winzige, sonst unsichtbare Staubkörnchen schwebten schräg durch die Strahlen, sie wurden zu glühenden Pünktchen, als sie ins Licht gerieten, und verschwanden wieder, als sie hinaustraten, um dann im nächsten hellen Streifen erneut aufzuleuchten. Eine Nachtigall schlug draußen mit betörender Hingabe …
    Bálint sprang aus dem Bett und ging zum Fenster. Mit einer einzigen Bewegung stieß er die beiden Jalousieflügel auseinander. Der Sonnenschein schlug ihm entgegen, er ließ ihn fast torkeln.
    Ein strahlender Morgen. Die Sonne stand weit entfernt über den hintersten Hügelreihen im Tal des Maros. Die Erhöhungen schienen so leicht zu sein, als bestünden auch sie nur aus Dunst, aus jenem kobaltblau-blassen Dunst, der über dem Fluss schwebte, die Umrisse der unendlichen Pappelhaine am Ufer weicher zeichnete und sich weiter aufwärts in ungewisse Ferne hinzog. Den Maros selber sah man nicht. Er war sehr weit weg, und verdeckt wurde er auch von den Bäumen, die hintereinander aufgereihte, graugrüne Mauern bildeten, unter denen sich jede um eine Stufe farbiger und schärfer abzeichnete: Weiter entfernt standen Silberpappeln mit schneeweißem Astwerk, näher kanadische Pappeln, deren Rinde ins Violett spielte, gewaltige Stämme, die, unmittelbar angrenzend, bis zur Anhöhe reichten und auf die Wiesen des Parks lange Schatten warfen, Schatten, die um nichts dunkler waren als der sonnenbeschienene Rasen, außer dass sie bläulich schimmerten, während das vom Licht überflutete Gras taufrisch in jungem, sattem Grün glänzte. Wie sich nun das Licht langsam zwischen den Bäumen verbreitete, unerwartet ins Laub der Büsche hineinstach, hier das weiße Fransenkleid eines Maibaums und dort die bisher schlafenden Blütenstände der verstreuten Fliedersträucher erfasste, wie es neugierig suchend ins Dickicht zu den Füßen der Baumstämme kroch, die Geheimnisse der Rabatten ergründete und die karminroten Blüten der japanischen Kirschbäume erglühen ließ, da könntest du meinen, die Frühlingsnatur erröte im Liebesglück, als wäre sie ein Mädchen, das zum ersten Mal spürt, wie die forschenden Hände ihres Liebhabers ihren entblößten Leib entlangstreichen, wie seine Lippen ihn mit Küssen bedecken. Als zitterte eine erschauernde Wonne in den verlockenden Geheimnissen des Frühlingsmorgens. Dies verkündete überall auch der Ruf der Nachtigallen, die nah und fern schlugen, hier in den Jasminbüschen, dort im Efeu, zwischen den pastellgrün sprießenden Thuja-Hecken und hinter den Reihen der runden, weihnachtsbäumlichen Rosskastanien.
    Der junge Mann kleidete sich eilig an und ging ins Freie. Draußen blieb er für einen Augenblick auf der nördlichen Terrasse stehen. Er verharrte aber nicht, sondern schritt den Hügel hinab, die Baumallee entlang, deren Pappeleichen wie Zedern wirkten. Rasen rechts und links, hundertweise bestreut vom Hahnenfuß und den gelben Sternen des Bisamkrauts; den Saum bildeten auf beiden Seiten Fliederbüsche, die von den zwei Türmen der Fassade bis zum Fuß des Hügels reichten; die Zweige waren mit Blüten üppig und so dicht beladen, dass man das Laub dazwischen fast nicht mehr wahrnahm. Nachtigallen schlugen beinahe in jedem Strauch, verstummten für einen Augenblick, als Bálint auf dem Weg hinunter vorbeischritt, und dann hoben sie wieder an, als wären sie außer Rand und Band.
    Er langte beim Mühlgraben an, wo einst wohl die untere Palisade der Burg gestanden war. Hier durchquerte er die weiße Brücke, die auch heute noch die »bunte Brücke« genannt wurde, weil man sie ursprünglich einmal mit vielen Farben bemalt hatte. Am anderen Ende der Brücke bog der Weg rechts wie links ab und ließ in der Mitte die weite, in die Ferne reichende Aussicht, die sich zwischen den dicht stehenden Linden, Pappeln und Rosskastanien eröffnete, ungestört frei. Die Landschaft hier lag noch im Schatten, in ahnungsvollem Schatten, der gleichsam hechelnd darauf zu warten schien, dass die Sonnenstrahlen an ihm entlangglitten. Das Gras stand da schon recht hoch, es war dicht und taubenetzt. Weiße Kügelchen des Wildklees

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