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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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sprangen auf und boten ihm einen Stuhl an – natürlich bekam er den Ehrenplatz Abády gegenüber. Bálint traf ihn jetzt zum ersten Mal, denn als er ihn bei den Wahlen hatte besuchen wollen, ließ ihm Börcsey von seinem Berg herab ausrichten, er »empfange« keinen 67-er Mann. Jetzt war er doch herabgestiegen, und – wie lächerlich – auch Bálint kam es vor, als sei er geehrt.
    In würdiger Haltung, einen langen Eichenstock in der Hand, so betrat der alte Börcsey den Raum. Er war mager, nichts als Haut und Knochen, mit vielen Runzeln, doch mit schwarzem Haar und Bart, obwohl er schon weit über siebzig Jahre zählte. Er trug ausgediente Stiefel und graue, von zahllosen kleinen Flecken bedeckte Beinkleider, die so wirkten, als habe Lauge ihre Farbe ätzend ausgelöscht. Er ging geradewegs auf Abády zu, ihm allein reichte er die Hand, er ließ sich nieder und gab dann den anderen gnädig ein Zeichen, als ob er sagte: Ihr könnt euch setzen, ich erlaube es! Als alle Platz genommen hatten und vorerst noch ehrfürchtige Stille herrschte, hob der Alte den Zeigefinger in die Höhe und fragte: »No! Was geschieht also in Pest?«
    Bálint erzählte. Er berichtete von der Erfolglosigkeit der mit Burián geführten Verhandlungen und auch von den verschiedenen, von Einzelnen unternommenen Versuchen. Die ihn Umgebenden hörten ihm anfänglich wortlos zu, doch mit der Zeit wurden sie immer lebhafter und streitlustiger. Was sie von sich gaben, das waren lauter unbewusste Zitate aus den laut klingenden Sprüchen der in Budapest erscheinenden Oppositionsblätter, aus den Leitartikeln von Miklós Bartha und Rákosi. Am heftigsten gebärdete sich Kirkocsa, der armenische Fleischhauer, der mit offenem Kragen um den muskulösen Hals links am Ende des langen Tisches saß und jedes Mal, wenn er etwas sagte, die Faust vor sich niedersausen ließ, als strecke er mit der Fleischeraxt einen Ochsen nieder. Am schweigsamsten erwies sich der rumänische Pope am anderen Tischende; er sprach kein Wort, doch schien um seinen Schnurrbart ein heimliches Lächeln zu spielen. Die Stimmung wurde, als die erste und dann die zweite Stunde vergingen, immer heftiger. Der Apotheker und der Mühlepächter überboten einander, sie gerieten beinahe in Streit, doch keiner der beiden vermochte je Argumente aufzuzählen, denn man redete ständig von allen Seiten dazwischen, der Fleischer rief brüllend mit der Stimme einer Rohrdommel, der Kreisarzt wiederum in seinem dünnen Falsett. Dass sie sich versammelt hatten, um ihren Abgeordneten zu feiern und von ihm Nachrichten zu vernehmen, war längst in Vergessenheit geraten. Jeder redete, diskutierte, legte dar, was er unternähme, wenn er Gyula Justh, Sámuel Barra oder Ugron wäre, besser gesagt, er hätte es dargelegt, wäre ihm nicht das Wort von einem anderen gleich abgeschnitten worden, der es besser wissen wollte. Die Zeit verging, und die Vorräte an Wein nahmen ab. Am Ende erfüllte ein schrecklicher Lärm den vollgerauchten Raum. »Man soll keine Steuern bezahlen!«, rief man. »Wir brauchen keine Soldaten!« »Das Volk ist zu bewaffnen, und wir ziehen gegen Wien!«
    Doch da hob Börcsey den Finger. Stille trat ein. »Man muss dem alten Henker in der Burg den Laufpass geben und damit Schluss!«, sagte der einstige Rotmützen-Honvéd und klopfte mit seinem Stock laut gegen den Fußboden.
    Der Satz zeitigte eine überraschende Wirkung. Er kühlte jäh die ganze Gesellschaft ab. Niemand antwortete, nur hier und dort wurde gehüstelt. Der alte Franz Joseph stand in so hohem Ansehen, dass solche Sprüche, als wären sie Flüche, alle vor den Kopf stießen. Sie taten, als hätten sie nichts gehört. Es war ungut, derartiges zu hören. Der Bürgermeister wandte sich an Abády: »Wie lange verweilen Euer Gnaden unter uns?«
    Nach kurzer Zeit machten sich alle auf den Heimweg.

    Den nächsten Morgen nahmen Leute in Anspruch, die mit den verschiedensten Anliegen und Sorgen und mit allerlei Bitten ihren Abgeordneten aufsuchten. Unter ihnen gab es manchen aus der Gesellschaft vom Tag zuvor, an dem man jeden Minister als Schuft beschimpft und gesagt hatte, es sei ein Schurke, wer mit den Regierenden auch nur ein Wort wechsle; die Gleichen wünschten nun, dass Abády diesem oder jenem von ihnen gestellten Gesuch bei Tisza, bei János Sándor oder sonst einem Minister zur günstigen Erledigung verhelfe. Denn das Leben ist eines, die Politik aber ein anderes. Und natürlich schloss jeder mit dem Satz: »Sie, Herr

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